Zum Festakt Tränen der Rührung
Ihre ganze liturgische Pracht entfaltete gestern die katholische Kirche
bei der Weihe des neuen Bischofs der Diözese Rottenburg-Stuttgart,
Gebhard Fürst. Kirchenpolitisches blieb allerdings vor der Tür
des überfüllten Rottenburger Doms St. Martin.
RAIMUND WEIBLE
Nur ein paar Grüppchen von Menschen fanden sich gestern nachmittag
auf dem Rottenburger Marktplatz ein, auf den per Lautsprecher die Bischofsweihe
aus dem Martinsdom übertragen wurde. Wie sich die Zeiten ändern!
Vor elf Jahren, bei der Einführung von Fürsts Vorgänger
Walter Kasper, war der Platz noch voller Menschen gewesen. Gewiss waren
viele Menschen Zuhause geblieben, verfolgten vor dem Fernseher den Auftritt
der nahezu 40 Bischöfe, und auf dem Bildschirm sahen sie mehr von
den Weihehandlungen als jene gewöhnlichen Gläubigen, die im
Dom noch einen Platz gefunden hatten.
Aus vier Erdteilen
Die Tränen der Rührung, die sich Gebhard Fürst abwischte,
das Brechen der Oblaten, die Umarmungen durch die aus vier Erdteilen
angereisten Bischöfe: Dies alles nahmen die Kameras des Südwestfernsehens
minuziös auf - Kirche intim.
Über zweieinhalb Stunden dauerte das Zeremoniell in der Domkirche,
mit zahlreichen Wechselgesängen zwischen Chor und Gemeinde, mit
vielen symbolischen Gesten. Der Altarraum bot ein farbenfrohes Bild.
40 Bischöfe und Kardinäle umgaben Fürst. Am Ende des
Gottesdienstes schritt Fürst durchs Kirchenportal und grüßte
die inzwischen zahlreicher gewordenen Zaungäste. Die Rottenburger
Bürgerwache nahm Aufstellung. Durch ihr Spalier machte sich Fürst
auf den Weg zum Bischofshaus, das außerhalb des Stadtkerns gelegen
ist. Dort schloss sich ein Fest an, zu dem die Bevölkerung Rottenburgs
geladen war.
Auch die Politik war hochkarätig bei dieser Feier vertreten, die
als Höhepunkt des Heiligen Jahrs für die Diözese Rottenburg-Stuttgart
apostrophiert worden war. Ganz vorne saß Ministerpräsident
Erwin Teufel mit Frau Edeltraud, daneben die Bundesjustizministerin
Herta Däubler-Gmelin. Sie bekamen jedenfalls aus der ersten Reihe
ein ausgefeiltes Zeremoniell mit vielen Personen mit, denen dabei eine
Funktion zugeteilt worden war. So hatte Herbert Gropper, der Sprecher
des diözesanen Priesterrats, die Aufgabe, den Hauptzelebranten
Oskar Saier, den Erzbischof von Freiburg, um die Weihe zu bitten. Und
Domkapitular Georg Kopp durfte dann die päpstliche Bulle verlesen.
Darin hieß es, dass der "geliebte Sohn" Gebhard die "erforderlichen
Tugenden und reiche Bildung auszeichnen" durch die er geeignet erscheine,
den Bischofsdienst auf sich zu nehmen. Und im Pluralis majestatis verkündete
Johannes Paul II, "kraft unserer Apostolischen Vollmacht ernennen Wir
dich deshalb zum Bischof von Rottenburg-Stuttgart".
Vor der eigentlichen Bischofsweihe nahm Saier seinem neuen Kollegen
die Erklärung ab, dass er bereit sei, den Dienst als Bischof zu
versehen. Sänger des Rottenburger Domchors riefen die 44 Heiligen
des Bistums um ihren Beistand und ihre Fürbitte an. Während
dieses Akts lag Gebhard Fürst ausgestreckt vor dem Altar auf dem
Boden. Eine symbolische Handlung nach altem Brauch: Damit bekundete
er seine eigene Unzulänglichkeit und Ohnmacht.
Schließlich kniete Fürst nieder und empfing von Saier die
Weihe. Auch die beiden Konzelebranten Walter Kasper und Weihbischof
Johannes Kreidler legten Fürst die Hand auf. Gleiches taten die
anderen Bischöfe, angeführt vom Apostolischen Nuntius in Bonn,
Kardinal Giovanni Lajolo. Nach dem Weihegebet wurde Fürst mit Chrisam
gesalbt, und er erhielt die bischöflichen Insignien Mitra, Ring
und Stab. Als dies geschehen war, sprach Domdekan Werner Groß
die feierlichen Worte: "Der bischöfliche Stuhl von Rottenburg ist
wieder besetzt. Die schwäbische Kirche hat wieder einen Hirten."
Fürst nahm Platz auf dem Bischofsstuhl, der Kathedra. Die ganze
Schar der Bischöfe, selbst die Vertreter der orthodoxen Kirche,
umarmten Fürst brüderlich.
Kein Personalkarussell
Doch damit hatte das zwischen Predigt und Eucharistie eingebettete
Zeremoniell noch kein Ende. Groß verkündete die ersten Dekrete
des neuen Bischofs. Sie enthalten keine Überraschungen. Fürst
hält an Kaspers bewährtem Führungsteam fest. So bleiben
die beiden Weihbischöfe Kreidler und Thomas Maria Renz im Amt,
ebenso auch Generalvikar Werner Redies.
Viel Beifall erntete Fürst, als er Weihbischof Kreidler seinen
besonderen Dank aussprach. Kreidler hatte 15 Monate lang als Administrator
die Diözese geleitet und war selbst als Nachfolger Kaspers im Gespräch
gewesen, überraschend war jedoch der Name von Fürst auf der
Dreier-Vorschlagsliste des Vatikans. Fürst rief dazu auf, "in neuen,
unverbrauchten Worten" das Wort Gottes zu verkünden.
Zu kirchenpoltischen Themen äußerte sich keiner der Bischöfe,
die im Martinsdom das Wort ergriffen. Am Abend zuvor allerdings hatte
Fürst beim Empfang der Stadt Rottenburg Worte gesagt, die dort
gern gehört wurden. "Ich will hier in Rottenburg sein, und ich
will für Rottenburg dasein", versprach er. Damit schloss er eine
Verlegung des Bischofssitzes nach Stuttgart aus. Das hatten die Rottenburger
immer wieder befürchtet.
Bürgernah, offen, liberal: An den neuen Bischof
knüpfen die Gläubigen hohe Erwartungen
In einer prachtvollen Feier wird Gebhard Fürst
zum Oberhirten von Rottenburg-Stuttgart geweiht
Die Diözese Rottenburg-Stuttgart hat wieder einen Bischof. Am
Sonntag ist Gebhard Fürst, bisher Direktor der Diözesanakademie,
im Rottenburger Dom vom Freiburger Erzbischof Oskar Saier in sein neues
Amt eingeführt worden.
Es ist einer jener Tage, der in Erinnerung bleibt. Den Rottenburgern,
denn ihr Städtchen ist für einen Tag lang der Mittelpunkt
des Landes; den Katholiken, denn sie bekommen einen neuen Bischof, einen,
der als liberal gilt und an den sie viele Hoffnungen knüpfen; schließlich
Gebhard Fürst, denn er ist es, der die Erwartungen erfüllen
muss. Er ist es, der an diesem Sonntag zum 11. Bischof der Diözese
Rottenburg-Stuttgart geweiht wird. Zum Oberhirten von zwei Millionen
Gläubigen.
VON MARIA WETZEL
zur Zeit Rottenburg
Die Anspannung ist dem neuen Bischof ins Gesicht geschrieben. Ernst
schaut der gebürtige Bietigheimer, fast düster, als er St.
Martin, das sich Dom nennen darf, obwohl es doch eher eine kleine Kirche
ist, betritt. Und es wird noch einige Zeit dauern, bis ein Lächeln
über sein Gesicht huscht. Es wird der Moment sein, in dem er -
frisch geweiht - von seinem Bischofssitz, seinem Thron, erstmals in
die freundlichen Gesichter der Gläubigen blickt und sich seine
Rührung aus den Augen wischt. Die Gäste im voll besetzen Dom
applaudieren. Bischof Fürst nickt beinahe unmerklich und dankt.
Schon eine Stunde vor Beginn des feierlichen Gottesdienstes haben
sich auf dem Marktplatz Menschen aus der ganzen Diözese eingefunden.
20 Ministrantinnen und Ministranten aus Meckenbeuren begrüßen
ihren Bischof mit einem Transparent. "Wir wünschen, dass er bürgernah
und konsensfähig ist", sagt Pfarrjugendleiter Andreas Gälle.
Karin Klink ist mit Pfadfindern aus Horb gekommen. Sie hofft, dass der
Bischof für die Jugendlichen ein offenes Ohr hat: "Und für
die Laien", sagt die 19-Jährige, die im kommenden Jahr katholische
Theologie studieren möchte. Sie fügt an: "Ich könnte
mir auch vorstellen, dass Frauen Diakoninnen werden können." Das
sind die Themen, die auf Fürst warten.
Punkt 15 Uhr dann entfaltet sich die ganze Pracht der katholischen
Liturgie. Feierlich ziehen das Domkapitel, Ministranten, Priester (darunter
auch der Bruder von Gebhard Fürst) sowie Diakone in den Dom ein.
Drei Bischöfe - Erzbischof Oskar Saier aus Freiburg, Amtsvorgänger
Walter Kasper und Amtsverweser Weihbischof Johannes Kreidler - begleiten
Fürst. 500 Ehrengäste, in der ersten Reihe Ministerpräsident
Erwin Teufel und Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, erwarten
die Prozession ebenso wie 40 Kardinäle und Bischöfe, viele
von ihnen aus Afrika und Lateinamerika, die in engem Kontakt zur Diözese
stehen. Auch die Oberhäupter anderer Kirchen sind vertreten: Eberhardt
Renz und Ulrich Fischer, die beiden evangelischen Landesbischöfe,
sowie Bischöfe mehrerer orthodoxer Kirchen und der altkatholischen
Kirche.
Für eine Bischofsweihe gelten besondere liturgische Regeln. Zu
Beginn der Weihehandlung muss Fürst erklären, dass er sein
Amt nach Kräften verwalten werde: als Dienst in der Kirche und
für die Kirche, in Einheit mit dem Bischofskollegium sowie in Gehorsam
und Treue gegenüber dem Papst. Während die Gemeinde die Heiligen
der Katholischen Kirche um Unterstützung anruft, legt sich Fürst
vor dem Altar auf den Boden. Mit dieser Geste der Demut bekundet er
sein Vertrauen auf den Beistand des heiligen Geistes und seine eigene
Unzulänglichkeit und Ohnmacht. Dann folgt die Weihe selbst: Erzbischof
Oskar Saier, Metropolit der Oberrheinischen Kirchenprovinz, legt Fürst
die Hände auf den Kopf zum Zeichen der Aufnahme in ihr Kollegium.
Die Bischöfe folgen seinem Beispiel, allen voran Bischof Kasper,
Weihbischof Kreidler, der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof
Giovanni Lajolo, und der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz,
der Mainzer Bischof Karl Lehmann. Die Gemeinde schweigt, so wie es die
Liturgie vorschreibt.
Während des Weihegebets halten zwei Diakone Fürst das Evangelienbuch
über das Haupt - zur Erinnerung an die Herabkunft des Heiligen
Geistes an Pfingsten. Dann salbt Saier das Haupt des neuen Bischofs
mit Chrisam, einem speziellen Öl, und überreicht ihm das Evangelienbuch
und die bischöflichen Insignien: den Bischofsring, die Mitra und
den Bischofsstab. Endlich, es ist eine Viertelstunde nach 16 Uhr, geleitet
Saier seinen Amtsbruder Gebhard Fürst zum Bischofsstuhl. Die Diözese
hat wieder einen Oberhirten.
Die andächtige Spannung entlädt sich, die Gemeinde klatscht
- freudig und anhaltend. Gerührt nimmt der neue Bischof die Friedensgrüße
seiner Kollegen entgegen, eine Umarmung und gute Wünsche. Als die
Reihe an den beiden evangelischen Bischöfen ist, geht Fürst
ihnen entgegen, steigt von dem Sockel herab, auf dem der Bischofsstuhl
steht. Bewusst oder unbewusst: Es wirkt wie ein deutliches Zeichen.
Auch nach Rom, wo erst kürzlich die Erklärung, die Katholische
Kirche sei die einzig wahre, zu Verunsicherung und Enttäuschung
unter den anderen Konfessionen geführt hat.
Was folgt, sind die Treuegelübte an den neuen Bischof; vom Domkapitel,
vom Priesterrat. Nochmals kommt Beifall auf unter den Kirchenbesuchern,
als Ursula Utz, die Sprecherin des Diözesanrats, eine gute Zusammenarbeit
und viel Anerkennung für die Laien anmahnt. Sie spricht von "geschwisterlicher
Sorge füreinander", was wohl heißen soll: weniger autoritär
als Rom. Und sie ist die einzige Frau, die das Wort ergreift. Freiheit
für die Wissenschaft erhoffen sich die Mitglieder der theologischen
Fakultät der Universität Tübingen. "Wir freuen uns, dass
ein Tübinger Theologe Bischof geworden ist", erklärt ihr Dekan
Richard Puza. Wieder hellt ein Lächeln Fürsts Miene auf.
Dann zelebriert der neue Bischof den Gottesdienst, nimmt sozusagen
Besitz von Amt und Domkirche. In seiner ersten Predigt dankt der 51-Jährige
für das mannigfache Vertrauen. Seinen Wahlspruch - "Um unseres
Heiles willen" - will er als Zusammenfassung des Glaubens verstanden
wissen: Dass Gott sich in Jesus Christus den Menschen und insbesondere
den Verlorenen zuwendet. Dem will Gebhard Fürst folgen. Die Gläubigen
in seiner Diözese werden ihren Bischof beim Wort nehmen.