Logo

Die Internetseite für Mitarbeitervertretungen im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz


Pfeil


Sie befinden sich hier: Home - Aktuell - Archiv - Dokumente


Gutachten stellt fest:
Mit Ausgründungen verlieren Einrichtungen den kirchlichen Charakter

 

Die Unternehmen setzen so ihre Sonderrechte aufs Spiel und müssten aus dem Diakonischen Werk ausgeschlossen werden.

Stuttgart - Ein Rechtsgutachten bringt die württembergische Diakonie in Zugzwang. Mit Auslagerungen und Neugründungen hätten viele ihrer Einrichtungen den kirchlichen Charakter verspielt, heißt es dort. Nun will die Diakonie die Tarifflucht stoppen und die Sünder zurückholen

Der Fall von Auslagerung ist extrem: In einem diakonischen Pflegeheim sind nur noch der Geschäftsführer und der Hausmeister zum kirchlichen Tarif angestellt. Das komplette Pflegepersonal aber wird von einer eigens zu diesem Zweck gegründeten, schlechter bezahlenden Tochtergesellschaft ausgeliehen. Was nach Lohndrückerei ausgerechnet im kirchlichen Bereich klingt, ist offenbar traurige Realität. Denn das Beispiel findet sich in einem vom Diakonischen Werk Württemberg (DWW) in Auftrag gegebenen Rechtsgutachten. Die 144-seitige Expertise, die der StZ vorliegt, soll nicht nur die Zulässigkeit solcher Konstrukte klären, sie soll auch den Verantwortlichen des größten Wohlfahrtsverbands im Land Handlungsempfehlungen geben. "Das zitierte Beispiel stammt zwar nicht aus Württemberg, dennoch verstärkt sich seit zehn Jahren der Trend zu Aus- und Neugründungen auch in unseren Einrichtungen", sagt der Diakonie-Chef Helmut Beck erklärend dazu.

Der Sozialmarkt ist umkämpft

Dabei geht es den jeweiligen Trägern meist um Kostensenkung, um auf dem umkämpften Sozialmarkt, wo auch die Tagessätze kaum noch steigen, mitzuhalten. Deshalb werden neue Pflegeheime als eigenständige Gesellschaften geführt, ambulante Angebote in der Behinderten- und Jugendhilfe in gemeinnützige GmbHs gepackt oder Kantine, Reinigung sowie Werkstatt in separate Serviceunternehmen ausgelagert. Das kirchliche Arbeitsrecht mit seinen Mitbestimmungsmöglichkeiten und die höheren kirchlichen Tarife bleiben in den neuen Gesellschaften auf der Strecke. Offiziell ist das neue Unternehmen auch kein Mitglied des DWW. Da die Muttereinrichtung aber zum Verband gehört, bleibt es beim christlichen Anspruch und dem werbewirksamen Auftritt unter dem diakonischen Logo des Kronenkreuzes.

Wer meint, dies seien Einzelfälle unter den 2250 sozialen Einrichtungen mit ihren 40.000 hauptamtlichen Mitarbeitern im Verband, der irrt. Fast alle großen Träger seien betroffen, heißt es beim DWW: die Evangelische Heimstiftung ebenso wie die Diakonie Stetten oder die Evangelische Gesellschaft. Über derartige Aktivitäten fällt die von Ulrich Bälz erstellte Expertise freilich ein eindeutiges Urteil. Die partielle Flucht aus dem kirchlichen System sei grundsätzlich unzulässig, erklärt der emeritierte Tübinger Rechtsprofessor. Denn das verantwortliche Unternehmen verletze seine Treuepflicht gegenüber dem Wohlfahrtsverband. Es setze so seine Sonderrechte aufs Spiel und müsste aus dem Diakonischen Werk ausgeschlossen werden. Außerdem hätten die entsprechenden Aktivitäten die Zustimmung des Verbands benötigt, so der Jurist. Die ist aber nie erfolgt.

Bälz belässt es allerdings nicht bei dem Verdikt. Er schlägt auch einen Ausweg für die Zukunft vor: die aus- und neugegründeten Unternehmen müssten ihrerseits Mitglieder im Diakonischen Werk werden. Dafür gäbe es mehrere Voraussetzungen. In der Regel sei die Rückkehr zum kirchlichen Arbeitsrecht nötig. Das Gutachten bringt nun einerseits die Diakonie in Zugzwang, weil es eine alte Grauzone ausleuchtet, andererseits ist es geeignet, bei den kritisierten Trägern Überzeugungsarbeit zu leisten.

"Vielen von ihnen war nicht bewusst, dass sie ihre Kirchlichkeit aufs Spiel setzen", sagt Beck. Der Oberkirchenrat findet, es sei "höchste Zeit, die Dinge zu regeln". Bisher drückte die Verbandsspitze auch die Augen zu, weil sie Verständnis für die wirtschaftlichen Probleme der Einrichtungen hatte und weil sie nicht wollte, dass die evangelischen Anbieter aus dem Sozialmarkt gedrängt werden.

Diese Gefahr besteht durchaus. Momentan werden zum Beispiel sechs Einrichtungen in Württemberg mit Notlagenregelungen saniert. Der Druck sei hoch, sagt Beck. Oft kämen nur die Billigsten zum Zug, erklärt er und macht so auch die Politik für die Entwicklung verantwortlich. Der Vorstandsvorsitzende verspricht, jetzt für rechtlich einwandfreie Lösungen etwa durch eine Anpassung der Verbandssatzung zu sorgen. Die betroffenen Träger zeigten sich ferner in ersten Gesprächen bereit, ihre Töchter in den Verband einzugliedern. Sie machen aber einen Abschluss der seit rund zwei Jahren laufenden Tarifverhandlungen zur Bedingung, der sich nun abzeichnet. Die endgültige Entscheidung muss dennoch jeweils auf betrieblicher Ebene fallen. Beck gib sich optimistisch: "Wir sind auf einem guten Weg." Er braucht eine Verständigung auch, um den Schaden zu begrenzen. Ein Ausschluss eines Trägers aus dem Verband, so Beck, sei das letzte Mittel

Von Michael Trauthig, Stugarter Zeitung vom 01.07.2008


 

Rosinen aus dem diakonischen Kuchen
Gutachter: Einige diakonische Einrichtungen verstoßen gegen Regeln des Verbandes

Von Angelika Hensolt

Stuttgart (epd). Die "Rosine" ist bekanntlich das Beste am Kuchen, das, was sich die meisten Menschen dem Sprichwort zufolge am liebsten herauspicken. Die "Rosine" der Diakonie ist wohl das Kronenkreuz, das Wahrzeichen der evangelischen Organisation. Denn mit den Einrichtungen, die unter dem Kronenkreuz tätig sind, verbinden viele Menschen christliche Nächstenliebe, gute Pflege und Betreuung. Und damit werben die diakonischen Einrichtungen.

Einige aber schmücken sich zu Unrecht mit dem Kronenkreuz. Ein neues Rechtsgutachten belegt jetzt, dass diakonische Einrichtungen den ganzen Kuchen, und nicht nur die Rosinen, schlucken müssen. Der ganze Kuchen aber ist für einige diakonische Anbieter schwer verdaulich. Die Zutaten, klagen sie, sorgten dafür, dass sie im Konkurrenzkampf mit anderen nicht kirchlichen Einrichtungen nicht mithalten könnten. Vor allem das kirchliche Arbeitsrecht und die kirchlichen Tarife liegen den Anbietern schwer im Magen. Denn die Bezahlung der Mitarbeitenden liege oft weit über der Entlohnung bei der Konkurrenz.

Deshalb haben sich Einrichtungen wie die Evangelische Heimstiftung, die Evangelische Altenheimat, die Zieglerschen Anstalten, die Bruderhaus Diakonie, die Diakonie Stetten oder die Evangelische Gesellschaft Stuttgart entschieden, nicht den ganzen Kuchen zu verspeisen, sondern nur die "Rosinen": Sie haben Einrichtungen außerhalb des diakonischen Dachverbands neu gegründet oder Teile ihres Unternehmens ausgegründet. In diesen Einrichtungen gilt das kirchliche Arbeitsrecht nicht, die Mitarbeiter werden auch nicht nach kirchlichem Tarif bezahlt. Trotzdem aber nehmen die Einrichtungen für sich in Anspruch, diakonisch zu sein.

"Nur die Landeskirche legt fest, wer diakonisch ist, nicht der Träger der Einrichtung"

Genau das dürfen sie nach Meinung von Ulrich Bälz aber nicht. Der Tübinger Rechtswissenschaftler stellte in einem Gutachten fest: Nicht der Träger einer Einrichtung legt fest, dass er diakonisch ist, sondern nur die Landeskirche hat das Recht dazu. Und dafür müssen sich die Einrichtungen an die Spielregeln halten.

Die schreiben nach Bälz vor, dass sich nur die Einrichtungen "diakonisch" nennen dürfen, die auch Mitglied im Dachverband seien. Und die seien verpflichtet, das kirchliche Arbeitsrecht anzuwenden. Tun sie das nicht, steht ihnen weder ein Stück des diakonischen Kuchens noch seine Rosinen zu.

Folglich können Organisationen, die Einrichtungen oder Teile davon außerhalb des Dachverbands betreiben, nicht mehr Mitglied des Dachverbands sein. Damit wären sie dann auch nicht mehr Teil der Landeskirche und verlören so auch die Sonderregelungen - zum Beispiel bei der Tarifgestaltung - , die das Grundgesetz für kirchliche Einrichtungen vorsieht.

Obwohl die Praxis der Aus- und Neugründungen dem diakonischen Dachverband natürlich seit langem bekannt und auch ein Dorn im Auge ist, haben die Verantwortlichen - zumindest offiziell - noch keinem ihrer Mitglieder mit Ausschluss gedroht. Das Gutachten, sagt Württembergs Diakoniechef Helmut Beck, liefere jetzt eine Grundlage, "damit diese Dinge sachlich besprochen werden können".

Nach Kriterien-Katalog soll entschieden werden, wer zur Diakonie gehört und wer nicht

Anhand des Gutachtens sollen nun Kriterien entwickelt werden, nach denen entschieden werden kann, welche Einrichtungen sich mit dem Kronenkreuz schmücken dürfen und welche nicht. Dass sie das kirchliche Arbeitsrecht anwenden, sei ein Kriterium, "aber es gibt auch noch weitere Regelungen, die zum Beispiel die Besetzung der Aufsichtsgremien betreffen", erklärt Beck. Bis in den Herbst soll eine Arbeitsgruppe aus Vertretern von Landeskirche, Diakonischem Werk und Einrichtungen einen solchen Kriterienkatalog erarbeiten.

Geht es nach dem Willen des Vorstandsvorsitzenden des Diakonischen Werks, soll dann Schluss sein mit der Rosinenpickerei der Mitgliedseinrichtungen: Wer nicht mehr Mitglied im Verband ist, dürfe nicht mehr mit dem Kronenkreuz werben. "Das wäre eine Täuschung."
Ein neuer Tarif soll alle zufriedenstellen

Beck hofft jedoch, dass er am Ende keines seiner abtrünnigen Mitglieder von der diakonischen Kaffeetafel verstoßen muss. Er setzt auf eine schnelle Änderung im kirchlichen Tarifrecht, das unter anderem den Einrichtungen die Möglichkeit geben soll, zwischen mehreren Tarifen zu wählen. Momentan verhandeln darüber die Vertreter von Arbeitgebern und Arbeitnehmern - und Beck ist zuversichtlich, dass diese sich einigen werden.

Die Tarifreform mit der Wahlmöglichkeit soll dafür sorgen, dass die Anbieter trotz kirchlichen Arbeitsrechts und kirchlichen Tarifs wettbewerbsfähig und gleichzeitig diakonisch bleiben können.

Schon jetzt hätten einige Einrichtungsleiter zugesichert, mit allen Einrichtungen in den Dachverband zurückzukehren, sobald die Tarifreform mit der Wahlmöglichkeit geschaffen sei, teilte Beck mit. Und dann wird im Diakonischen Werk wohl nicht nur ein Rosinenkuchen, sondern gleich eine große Sahnetorte angeschnitten.