Zukunft des kirchlichen Arbeitsvertragsrechts
Position der Stiftung Liebenau
Vortrag vor der Kommission XIII der Deutschen Bischofskonferenz
am 21.01.2003
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STIFTUNG LIEBENAU - Vorstand Dr. Berthold Broll hielt
am 21.1.2003 auf Einladung von Bischof Joachim Reinelt, Dresden, einen
Vortrag zur Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts vor der Kommission
für caritative Fragen der Deutschen Bischofskonferenz in Berlin.
Darin beschäftigte er sich mit Notwendigkeiten und Möglichkeiten
für Reformen des kirchlichen Dienstrechtes, das sich bisher darauf
beschränkte, die Ergebnisse des Öffentlichen Dienstes in den
kirchlichen Bereich zu übertragen. Der Kommission für caritative
Fragen der Deutschen Bischofskonferenz gehören neben Diözesanbischof
Reinelt als Vorsitzendem mehrere Weihbischöfe sowie Wissenschaftler
sowie der Präsident und der Generalskretär des Deutschen Caritasverbandes
an. Für den Deutschen Caritasverband stimmte Präsident Hellmut
Puschmann den Ausführungen Brolls zu.
Dr. Berthold Broll, Vorstand
aus: KUNO aktuell, Montag, 10. Februar 2003
Erklärung des DCV 27.02.2003
Der Deutsche Caritasverband nimmt mit Erstaunen die Veröffentlichung
der Stiftung Liebenau zur Kenntnis, wonach der Präsident des Deutschen
Caritasverbandes den Ausführungen von Herrn Dr. Berthold Broll
in seinem Vortrag vor der Kommission XIII der Deutschen Bischofskonferenz
zugestimmt habe.
Selbstverständlich tritt der Präsident für den Erhalt
der caritativen Einrichtungen und Dienste ein. Dazu sieht er auch die
Notwendigkeit, die
Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes weiterzuentwickeln.
Die von Herrn Dr. Broll vorgetragenen Thesen sind von den Mitgliedern
der Kommission XIII der Deutschen Bischofskonferenz zur Kenntnis genommen
worden. Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes hat sich an
der daran anschließenden Debatte beteiligt. Eine Zustimmung zu
den Thesen ist damit nicht verbunden gewesen.
Im Übrigen werden die Beratungen in diesem Gremium als vertraulich
betrachtet.
Norbert Beyer
Referatsleiter / Deutscher Caritasverband / Generalsekretariat / Referat
Arbeitsrecht
Postfach 420, 79004 Freiburg
Tel. 0761/200-201, Fax 0761/200-733, E-Mail norbert.beyer@caritas.de
Hintergrundwissen:
Deutsche Bischofskonferenz (siehe Internetauszug) (Vorsitz: Kardinal
Lehmann)
Ausschuss für caritative Fragen = Kommission XIII
- Vorsitzender: Bischof Joachim Reinelt
- Sekretär: Dr. Matthias Meyer
- Geschäftsführer: Johannes Stücker-Brüning
Mitglieder der Kommission XIII:
Bischöfe:
- Joachim Reinelt, Bischof von Dresden-Meißen, Vorsitzender
- Hans-Reinhard Koch, Weihbischof in Erfurt, Stellv. Vorsitzender
- Otto Georgens, Weihbischof in Speyer
- Josef Grünwald, Weihbischof in Augsburg
- Theodor Kettmann, Weihbischof in Osnabrück
- Franz Vorrath, Weihbischof in Essen
- Josef Voß, Weihbischof in Münster
Berater:
- Prof. Baumgartner, Passau
- Prof. Cremer, DCV
- Hr. Puschmann, DCV
- Prof. Fuchs, Tübingen
- Prof. Gabriel, Münster
- Frau Prof. Hartmann, Berlin
- Prof. Hierold, Bamberg
- Frau Prof. Kroll, Berlin
- Frau Prof. Körs
- Prof. Wildfeuer
- Dr. Wiesner
- Prof. Zerler (?), München
- Dr. Meyer
- Hr. Stücker-Brünning
TOP:
"Der 3. Weg; Zukunft des kirchlichen Arbeitsrechts"
1. Dr. Broll: Aus der Perspektive der Stiftung Liebenau (20 min)
2. Prälat Puschmann: Aus gesamtverbandlicher Sicht (20 min)
3. Diskussion
Zukunft des kirchlichen Arbeitsvertragsrechts / Position
der Stiftung Liebenau
Vorstellung der Person:
- Berthold Broll
- Vorstand der Stiftung Liebenau seit einem Jahr (einer von zwei
Vorständen)
- Stiftung Liebenau ist Ihnen bekannt durch den Vortrag meines Vorgängers,
Hr. Helmut Staiber, am 13.09.2001 vor der Kommission XIII.
Die wirtschaftliche Situation der karitativen Träger hat sich
seither nicht entspannt, sondern im Gegenteil zugespitzt, daher bin
ich dankbar Ihnen unsere Situation, die Situation eines karitativen
Sozialunternehmens mit ca. 4.000 Mitarbeitern, schildern zu dürfen.
Ich weiß aus der Zusammenarbeit mit anderen kleinen und großen
sozialen Dienstleistern, dass sich deren Einschätzung mit der
unseren deckt.
Desweiteren ist einer meiner direkten Mitarbeiter, Herr Axel Sans,
seit drei Jahren Mitglied in der Arbeitsrechtlichen Kommission des
DCV und informiert mich aktuell über die besprochenen Themen
und über den Gang der Verhandlungen.
Ich kann Ihnen unsere Erfahrungen leider nur in sehr komprimierter Form
vortragen und nur die augenfälligsten Beispiele nennen. Ein Thesenpapier
von uns haben wir im Dezember bereits Ihrem Sekretariat übergeben
(Besuch in Bonn am 13.12.2002 bei Herrn Dr. Meyer, Herrn Stücker-Brüning
und Frau Schülling).
Inhaltsübersicht:
- Aktuelle Situation; Wie sehen die Rahmenbedingungen für die
Stiftung Liebenau aus?
- Welche Anforderungen stellen wir an ein auf christlichen Werten
basierendes Arbeitsvertragsrecht im Vergleich zu unseren jetzigen
AVR
- Welche Folgen haben die heutigen AVR für unsere Kunden, für
unsere Mitarbeiter und für uns als Sozialunternehmen?
- Perspektiven; Wie kann’s weitergehen?
Zu 1. Wie ist die aktuelle Situation; Wie sehen die gesellschaftlichen,
politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Stiftung
Liebenau aus?
a. steigender sozialer Hilfebedarf:
- kleinere Familien (nur in 25 % der Haushalte der Stadt Ravensburg
leben noch Kinder);
- mehr alte Menschen (Zunahme der über 65-jährigen bis
2010 + 26 %, bis 2030 + 55 % gegenüber 1999;
Anteil der über 65-jährigen an der Gesamtbevölkerung
wächst von 1999 16 % auf 26 % in 2030);
- mehr wirtschaftlich Schwache;
b. grundlegende wirtschaftliche Strukturkrise, deren Ende nicht absehbar
ist:
- in 2002: knapp 56 % durchschnittliche Arbeitnehmerabgabenbelastung,
dadurch sinkende Leistungsbereitschaft der Arbeitnehmer;
- sinkende Steuereinnahmen;
- überschuldete öffentliche Kassen;
- kollabierendes Sozialversicherungssystem - schon aufgrund der
demografischen Entwicklung;
- Erlahmung der Wirtschaftstätigkeit, ablesbar an der hohen
Zahl an Insolvenzen und dem Rückgang der Investitionen;
- anhaltend hohe Arbeitslosigkeit;
c. Durch diese hohe Abgabenlast sinkt die Bereitschaft der Gesellschaft,
soziale Lasten insbesondere für behinderte, alte und kranke Menschen
zu tragen (gesellschaftliche Entsolidarisierung).
d. Insgesamt sinkt der Mut, sein Leben eigenverantwortlich selbst
in Hand zu nehmen. Unternehmerisches Handeln wird blockiert.
e. Das Prinzip der Nachhaltigkeit in der Sozial- und Wirtschaftspolitik
wird nicht beachtet. Der Staat lebt "von der Hand in den Mund"
Beispiel: Die staatliche Rentenversicherung hat noch eine Finanzreserve
von 14 Tagen.
f. Im sozialen Sektor steigt der Wettbewerb unter den Anbietern.
Der Marktanteil privat-gewerblicher Anbieter steigt, so sind z.B.
sind 51 % der ambulanten Pflegedienste privat-gewerblich (Quelle:
Roland Berger Strategy Consultants).
Endlos ließen sich weitere Beispiele anfügen, die deutlich
machen, in welchem Kontext die sozialen Einrichtungen ihre Dienste
erfüllen.
Da wir unsere Dienste durch Menschen erbringen, stehen bei uns nicht
Produktionsmittel und Warenaustausch im Vordergrund. Qualität
und Akzeptanz unserer Dienste werden über unsere Mitarbeiter
entschieden. 70 % unserer Ausgaben sind Personalaufwendungen.
Wir können nur bestehen, wenn unsere Mitarbeiter eine hohe Motivation
haben.
Für diese Motivation spielen neben der Art der Aufgabe, Personalentwicklungsmaßnahmen,
Arbeitsplatzsicherheit und nicht zuletzt die Arbeitsvertragsstrukturen
einschließlich der Vergütung eine entscheidende Rolle.
Aufgrund unserer Wertvorstellungen muss sich dieses Arbeitsvertragsrecht
an christlichen Vorgaben messen lassen.
Zu 2. Welche Anforderungen stellen wir an ein auf christlichen
Werten basierendes Arbeitsvertragsrecht im Vergleich zu unseren jetzigen
AVR?
Bei diesen Überlegungen ist grundsätzlich zu unterscheiden,
ob eine Einrichtung kirchensteuerfinanziert ist (z.B. Suchtberatungsstelle)
oder sich über andere Quellen finanziert. Desweiteren macht es
einen Unterschied, ob es sich um eine öffentlich-rechtliche Körperschaft
oder um ein privates Unternehmen handelt.
Die Stiftung Liebenau gehört zu den nicht-kirchensteuerfinanzierten,
privaten Unternehmen; unsere Überlegungen beziehen sich auf diese
Art von Organisationen.
Folgende Anforderungen sind an ein auf christliche Werte basierendes
Arbeitsrecht zu stellen:
a. Das Arbeitsvertragsrecht muss gerecht sein
('Gerechte Entlohnung‘ ist im übrigen eine Forderung der
kirchlichen Grundordnung.)
- Die Vergütung muss der aktuellen Leistung des Mitarbeiters
entsprechen, mit der Möglichkeit der Anpassung der Vergütung
nach oben und nach unten. Dadurch sind Leistungsträger zu gewinnen
und benachteiligte Menschen können besser integriert werden.
Heute zählt die Leistung weniger als das Alter, die Dauer
der Berufsausübung, die Vorbildung und der Familienstand.
- Sozialpolitische Komponenten dürfen nicht dem Arbeitgeber
angelastet werden, d.h. z.B. Abschaffung des Ortszuschlages, der
Altersgruppenaufstiege und der Bewährungsstufen.
Heute können die Gehaltsunterschiede bei gleicher Tätigkeit
mehr als 50 % betragen, wobei der Mitarbeiter für den Dienstgeber
keine wertvollere Arbeit leistet.
- Vergütungsberechnungen sind zu vereinfachen: Nur Spezialisten
können heute die Vergütung berechnen.
Beispielsweise müssen für jeden Mitarbeiter nach jeweils
abweichendem Modus "sechs" verschiedene Zeiten ermittelt
werden, nämlich Beschäftigungszeit, Dienstzeit, Bewährungszeit,
Lebensaltersstufen, Jubiläumsdienstzeit und Zeiten zur Berechnung
des Übergangsgeldes.
In der Stiftung Liebenau sind allein ca. 45 Vollzeitstellen mit
AVR-Fragen befasst. Das entspricht einem Personalaufwand von ca.
2 Mio. € pro Jahr.
Wir haben einen Dschungel an Zulagen, an Vergütungs- und Fallgruppen.
Dies birgt natürlich auch eine nicht unerhebliche Fehlerquote.
b. Das Arbeitsvertragsrecht muss sozialer, menschlicher
sein
- Bisher haben ältere, kinderreiche oder leistungsgeminderte
Personen (z.B. Sonderschüler), die sich bei uns bewerben, schlechtere
Chancen, weil sie teurer sind. Für nicht-AVR/BAT-gebundene
Dienstleister ist es eine Kleinigkeit, die Vergütungen für
junge und ledige Bewerber zu überbieten.
- Die Bereitschaft der Mitarbeiter, leistungsschwächere
zu integrieren, wird sehr strapaziert, weil diese das gleiche verdienen,
d.h. die Gefahr des Mobbings wächst.
- Altersvorsorge sollte nach dem Gesichtspunkt der Freiwilligkeit
abgeschlossen werden dürfen, z.B. über eine Direktversicherung
und dem Prinzip der Nachhaltigkeit entsprechend, jedenfalls kapitalgedeckt.
Heute ist bei uns – wie bei den meisten katholischen Trägern
in Baden-Württemberg - die marode kommunale Zusatzversorgungskasse
Pflicht. Der derzeitige – ausschließlich dienstgeberseitig
finanzierte - Beitragssatz zur kommunalen ZVK beträgt 6,5 %
und soll in den nächsten Jahren auf 8 % steigen. Der Beitragssatz
der kirchlichen ZVK beträgt dem gegenüber derzeit 4 %.
Allein das ZVK-Sanierungsgeld, welches wir bezahlen, beträgt
derzeit rund 1 Mio. € pro Jahr.
c. Das Arbeitsvertragsrecht muss wirtschaftlicher
sein
- Das unternehmerische Denken und die Dienstleistungsmentalität
der Mitarbeiter soll unterstützt werden.
Aktuell wird eher das Abwarten und das Verwaltungsdenken honoriert.
- Das Arbeitsvertragsrecht soll die wirtschaftliche Existenz und
die Arbeitsplätze absichern helfen.
- Heute richten sich die Kostenträger nicht mehr an unseren
Vergütungen aus; die Zeiten des Selbstkostendeckungsprinzip
sind seit ca. 1992 passé. Die Kostenträger richten sich
nach dem Motto "der Billigste ist der Richtige".
- von sämtlichen Altenhilfeeinrichtungen, die die Stiftung
Liebenau von anderen katholischen Trägern bzw. von Kommunen
angetragen bekam, schrieb lediglich ein Haus schwarze Zahlen.
- Es muss die Mitarbeitergewinnung unterstützen und sollte
Outsourcing verhindern.
Heute bewerben sich jüngere Mitarbeiter bei privaten Trägern.
Im fortgeschrittenen Alter kommen sie dann wieder zu uns.
- Es sollte unternehmensbezogen variabel sein, z.B. über Öffnungsklauseln,
Spartentarife; stärkere Berücksichtigung von regionalen
und betrieblichen Gegebenheiten; Regelungsspielraum durch Dienstvereinbarungen.
Heute sind wir abhängig von externen Systemen wie der ZVK
und dem öffentlichen Tarifabschluss
Es sollte dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit dienen z.B.
durch Angleichung an das Vergütungsniveau vergleichbarer Tätigkeiten
in anderen Branchen.
Heute stecken wir in einer Uniform, statt dass wir uns in einem
Maßanzug kleiden und zahlen in Teilbereichen weit über
dem Marktniveau, ohne dass es uns Vorteile bringt.
- Wir haben in der Stiftung Liebenau 110 verschiedene Berufsarten
beschäftigt.
d. Ein solches Arbeitsrechts- und Vergütungssystem
wäre christlicher,
- weil konform mit der kirchlichen Grundordnung (BAT/AVR erfüllen
die in der Grundordnung enthaltene Forderung nach einer gerechten
Entlohnung nicht)
- weil dadurch insbesondere die benachteiligten und älteren
Menschen und Väter und Mütter mit mehreren Kindern wieder
eine Beschäftigungschance erhalten; (Mütter nach der
Familienphase wollen eine Beschäftigung, keine Spitzenbezahlung.)
- weil die Voraussetzungen für den Erhalt der kirchlichen Einrichtungen
und dadurch der Arbeitsplätze wesentlich verbessert werden
und
- weil die Relation von Preis und Leistung unserer Angebote verbessert
wird.
Die von uns genannten Anforderungen an ein christliches Arbeitsvertragsrecht
sind wie die vielfältigen Beispiele zeigen in den heutigen AVR
nicht annähernd umgesetzt.
Dies kann auch gar nicht sein, wenn man allein die Entstehung und
die Geschichte der AVR anschaut.
Entstehungsgeschichte:
- Unsere AVR fußen auf dem BAT und dieser auf den Grundsätzen
des (Preußischen) Beamtenrechts mit
- Fürsorgeprinzip,
- Alimentationsbezügen wie Kindergeld, Familienstand, Ortszuschlag,
Beihilfe, Lebensalter statt Äquivalenz von Lohn und Leistung,
- und vorgegebene Altersversorgung sind die prägenden Elemente).
- Der Dritter Weg hat sich bisher darauf beschränkt, den öffentlichen
Angestelltentarif (BAT) annähernd 1:1 zu übernehmen.
- Die viel gepriesene Konsensbildung ist in früheren Jahren
nicht auf den Prüfstand gestellt worden, weil durch das Kostendeckungsprinzip
ausreichend Geld vorhanden war.
- Der Tarifkampf im öffentlichen Dienst findet stellvertretend
für den kirchlichen Bereich statt. Der kirchliche Bereich akzeptiert
diesen "Stellvertreter-Kampf".
- (Die Konsensbildung in der Arbeitsrechtlichen Kommission ist nur
vorbereitend; der Bischof hat das letzte Wort)
- Die AVR sind ein rein deutscher Sonderweg; in unseren österreichischen
Gesellschaften haben wir eine ganz andere Situation; selbst die
verfasste Kirche in Deutschland weicht von den AVR/ dem BAT ab (Kölner
Dombauhütte)
Außerdem gibt die Struktur und Arbeitsweise der Arbeitsrechtlichen
Kommission zu denken.
Wir beobachten z.Zt. eine gegenseitige Blockade der Dienstgeber- und
der Dienstnehmerseite. Statt dringender Arbeit an der Weiterentwicklung
treten wir auf der Stelle ("Patt-Situation").
Zudem bevorzugt das Dreiviertel-Mehrheitserfordernis die Besitzstandswahrer,
wo doch Reformen dringend geboten sind. Sogar der öffentliche
Dienst hat beim Tarifabschluss im Januar vereinbart, die Dauer des
Tarifvertrages zu Reformen zu nutzen, wobei Leistungsanreize, Vereinfachung,
Abkehr vom Beamtenrecht und Attraktivität der Entlohnung als
klare Ziele angesehen werden.
Die Folgen, die unsere Arbeitsvertragsrichtlinien für uns haben,
sind gravierend, unschwer darzustellen und leicht zu verstehen:
zu 3. Welche Folgen haben die heutigen AVR für unsere
Kunden, für unsere Mitarbeiter und für uns als Sozialunternehmen?
a. Folgen aus der Sicht unserer Kunden (Bewohner,
Betreute)
- Die Dienstleistungsmentalität der Mitarbeiter wird nicht
gefördert
- Die Verwaltung verschlingt unnötig Geld
- Die aufgewandten Gelder kommen nicht beim Kunden an
Zur Illustration Geschichte S. 163, "In Freiheit Beziehungen
gestalten".
b. Folgen aus Sicht der Mitarbeiter
- Mitarbeiter werden nicht ausreichend ernst genommen, weil kein
gerechtes Verhältnis zwischen Arbeit und Entlohnung besteht.
Wenn ein Kollege bei gleicher Arbeitsleistung allein wegen seines
Ehestandes, seiner Familiensituation und seines Alters 50 % mehr
verdient, als der andere, trifft das auf Unverständnis und
ständigen Rechtfertigungsbedarf. Der Mitarbeiter wird nicht
zur Leistung motiviert, wenn andere Dinge die Entlohnung wesentlich
deutlicher beeinflussen. Diese Art von Gleichheit wird inzwischen
als ungerecht empfunden.
Im Sozialamt der Stadt Dortmund werden für 20 zusätzlich
bearbeitete Sozialhilfeanträge im Monat rund 200 € Aufschlag
bezahlt. Infolge dessen sank die Fluktuation im Personalbereich
von 16 % auf 3 %. Die Einsparungen betrugen rund eine halbe Million
€.
Der Satz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" aus der
christlichen Soziallehre wird ausgehebelt.
- Das Potential der Mitarbeiterschaft an Ideen und Leistungsbereitschaft
wird nicht ausgeschöpft.
- Mitarbeiter werden durch Intransparenz und Zwangsbeiträge
entmündigt.
- Arbeitsplätze sind nicht nur auf Dauer, sondern auch kurzfristig
bedroht.
- Alter, Kinder, Leistungsdefizite stellen bereits aufgrund der
Vergütungshöhe ein Einstellungshindernis dar
c. Folgen aus der Sicht des Sozialunternehmens
- Unterschiedliche Ausgangssituation zwischen kirchensteuerfinanzierten
und nicht kirchensteuerfinanzierten Unternehmen wird nicht berücksichtigt.
- Die unter Pkt. 1 genannten sozial- und wirtschaftspolitischen
Rahmenbedingungen werden ignoriert.
- Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist massiv beeinträchtigt.
Die Stiftung Liebenau wird lt. Plan für 2003 im Behinderten-
und Altenhilfebereich ca. 1,2 Mio. € Verlust erwirtschaften.
- Unsere Arbeitsplätze und unsere Investitionen sind bedroht.
- Unsere wirtschaftliche Substanz wird ausgezehrt.
- Weiterentwicklungen werden verhindert.
- Unser unternehmerisches Handeln wird erschwert.
- Wir haben einen erhöhten administrativen und organisatorischen
Managementaufwand.
- Die verbandliche Diskussion erfordert einen zusätzlichen
Ressourcenaufwand.
- Ebenso verursacht die Suche nach Sonderlösungen ("Schlupflöcher")
einen Aufwand.
- Die o.g. Struktur ist festgefügt; wir können unsere
Interessen nicht wirkungsvoll einbringen.
- Die Reformunfähigkeit wurde in den letzten Jahrzehnten unter
Beweis gestellt. Die Arbeitsrechtliche Kommission steht still. (Dies
ist im übrigen auch aus dem Deutschen Caritasverband zu hören:
"Die Vergangenheit zeigt, dass innerhalb der Arbeitsrechtlichen
Kommission die notwendigen Reformen nicht, jedenfalls nicht in absehbarer
Zeit, zu erreichen sind."), Die deutschen Bischöfe, die
letztlich die Hüter der Regelungen sind, sind wohl die einzigen,
die das erstarrte System reformieren können.
Fazit:
Insgesamt sind die Gründe für eine Abkehr vom BAT hin zu
einer zukunftsweisenden Vergütung mit Leistungsbezug kaum wegzudiskutieren.
Hierzu hat die Bank für Sozialwirtschaft bereits 1998 eine Studie
vorgelegt. Unsere Einrichtungen und Dienste im katholischen Bereich
– für den evangelischen gilt dasselbe - werden den Wettbewerb
dauerhaft nur überleben können, wenn sie auch im Vergütungsbereich
die Möglichkeit haben, deutlich flexibler zu agieren. Ein Unternehmen,
das auf Dauer Verluste macht und deshalb in Konkurs gerät, nützt
am Ende weder den Mitarbeitern noch den Kunden oder der Gesellschaft
und sicher auch nicht der Kirche. Im Bereich der Reinigungskräfte
hat der BAT den Dienstnehmern nichts Gutes gebracht. Sie wurden fast
ausnahmslos "outgesourcet" und verdienen im Geltungsbereich
der gewerblichen Tarife bis zu 30 % weniger als im BAT. Daran sieht
man, dass die Unternehmen andere Wege beschreiten, wenn im Bereich
der Tarifverträge Veränderungen zu lange ausbleiben. (Die
Stiftung Liebenau hat ihre hauswirtschaftlichen Dienste dem gegenüber
nicht nach außen verlagert.) Wenn wir es nicht schaffen vom
BAT wegzukommen, dann werden die betroffenen Unternehmen zunehmend
nach Auswegen suchen (z.B. Outsourcing, Betriebsübergang, Tochtergesellschaften).
Damit erodiert das Tarifgefüge immer mehr. Daran kann niemand,
am wenigsten die katholische Kirche ein Interesse haben.
Was uns selbst angeht, so gehört unsere Stiftung als Eigner von
land- und forstwirtschaftlichen Betrieben, einer Gärtnerei und
Landschaftsgärtnerei inzwischen zu den Exoten. In den Strukturen
des kirchlichen Arbeitsrechts sind diese Betriebe seit langem nicht
mehr wirtschaftlich zu führen, weshalb sie vielerorts einfach
geschlossen wurden.
zu 4. Perspektiven; Wie kann’s weitergehen?
- Die Reformbedürftigkeit des jetzigen Systems ist erkannt.
- Das 100-Punkte-Programm zur Reform des öffentlichen Dienstes
von ver.di zeigt, dass auch die Gewerkschaften diese Reformbedürftigkeit
anerkennen.
- Die aktuelle Stellungnahme der EKD zur Reform des öffentlichen
Dienstes weist in die selbe Richtung.
1. Möglichkeit: Umbau des jetzigen Systems
Fraglich ist, ob sich das jetzige System schnell genug wandeln und
den Erfordernissen anpassen kann. Aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit
(ein Mitarbeiter von uns ist Mitglied in der Arbeitsrechtlichen Kommission
und damit an der Informationsquelle) ist dies in absehbarer Zeit und
in der für uns notwendigen Form kaum erwartbar. Wir gefährden
unsere Dienste, unsere Arbeitsplätze, unsere Einrichtungen. Dies
ist nicht nur für die Stiftung Liebenau, sondern auch für
die Kirche unverantwortlich.
2. Möglichkeit: Abriß und Neubau eines
Arbeitsvertragsrechtes unter Federführung der Kirche
Denkbar wäre die Schaffung von neuen, gerechteren, einfachen
Rahmenregelungen, die auf betriebliche, regionale und tätigkeitsbezogene
Gegebenheiten Rücksicht nehmen. Dies könnte in Kooperation
mit Verbänden, der Diakonie und zusammen mit den Mitarbeitern
erfolgen. Dieser Tarif müsste beispielgebend für die Tariflandschaften
sein. Die Stiftung Liebenau könnte sich dann als katholische
Stiftung solchen Regelungen anschließen.
Dieses Vorgehen dauert allerdings ebenfalls sehr (zu) lange und ist
kaum umsetzbar.
3. Möglichkeit: Eigener Weg der Stiftung Liebenau
Weiterhin gibt es die Möglichkeit, dass die Stiftung Liebenau
einen eigenen Weg verfolgt. Dies hat sie mit der Liebenau Service
GmbH und mit der Heilig Geist-Leben im Alter gGmbH bereits erfolgreich
und beispielgebend getan. Dies bedeutet, zukunftsgerichtete innovative
und sachgerechte Vertrags- und Vergütungsstrukturen gemeinsam
mit unseren Mitarbeitern unter Wahrung von christlichen Prinzipien
zu entwickeln und in konsequenter Weise einzuführen ("Haustarife‘).
Dabei ist ein weicher Übergang von ‚alt‘ zu ‚neu‘
anzustreben, z.B. durch Übergangsregelungen für ältere
Mitarbeiter und durch Besitzstandswahrung soweit möglich. Diese
Hausregelungen (die nicht unbedingt Haustarife sein müssen) müssten
den oben unter Punkt 2 genannten Anforderungen entsprechen.
Sie könnten durchaus an Tarife aus der Privatwirtschaft angelehnt
sein, wie z.B. private Pflegetarife oder auch an andere Regelunen
wie z.B.: Diakonie Nordelbische Kirche; Hotel- und Gaststättengewerbe;
Reinigungsgewerbe.
Als verantwortlicher Vorstand für die Stiftung Liebenau habe ich
-wie meine Vorgänger - die Aufgabe den Stifterauftrag zu erfüllen,
unsere Dienste für die Menschen zu erhalten und auszubauen und
die Arbeitsplätze zu sichern.
Wir möchten ganz ausdrücklich diesen Weg im Rahmen der kirchlichen
Strukturen gehen.
Bitte helfen Sie uns dabei, dass dies möglich ist.
Es ist für uns dringende Zeit zu handeln. Andernfalls bleibt uns
keine Zeit mehr zu agieren, sondern nur noch zu reagieren.
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