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KIRCHLICHER DIENST - DRITTER WEG - BAT
Die Übertragbarkeit der Tarifabschlüsse des Öffentlichen Dienstes in die Katholische Kirche

Norbert Feldhoff
Generalvikar des Erzbischofs von Köln Vizepräsident des Deutschen Caritasverbandes

Vortrag bei der Katholischen Erziehergemeinschaft Rheinland-Pfalz
Saarbrücken, 27. Mai 2000


Sie haben mich eingeladen, zu Ihnen und mit Ihnen über die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst und die Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse in die katholische Kirche zu sprechen. Dies ist für mich eine höchst delikate Aufgabe und ich muss zunächst eine Vorbemerkung machen, damit Sie meinen Beitrag nicht falsch einordnen oder überinterpretieren. Auf keinen Fall kann und will ich etwas zu den konkreten Verhandlungen sagen, die in diesem Jahr auf uns zukommen. Dafür muss ich um Verständnis bitten. Ich versuche vielmehr darzulegen, welche Problemlage sich augenblicklich überhaupt für das kirchliche Arbeitsrecht ergibt. Dabei bitte ich auch diese Darlegungen als sehr persönliche Beurteilung zu bewerten. Ich spreche weder im Auftrag des Erzbistums Köln noch für den Deutschen Caritasverband. Wir befinden uns seit mehreren Jahren in einem sehr komplexen Meinungsbildungsprozess. Ich werde Ihnen meine persönliche Beurteilung vorlegen und bin meinerseits auch sehr an dem Gespräch und dem Meinungsaustausch mit Ihnen interessiert. Wir werden überhaupt nur weiterkommen in diesen Fragen, wenn wir zu einem breiten Erfahrungs- und Meinungsaustausch bereit sind.

Meine Darlegungen gliedere ich in drei Schritte. Zunächst schaue ich mit Ihnen zurück, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben. Sodann versuche ich darzustellen, wodurch die Situation zur Zeit kritisch geworden ist, um schließlich in einem dritten Schritt einen Ausblick in die Zukunft zu wagen.

 


1. Rückblick

1.1 "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit"

Wenn ich auf die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg zurückschaue, ist für mich eines von entscheidender Bedeutung: Die Mitarbeiter im Caritasbereich sind seit dem Jahre 1969 in der Vergütung denen des Öffentlichen Dienstes gleichgestellt, und seit etwa Mitte der siebziger Jahre werden die meisten kirchlichen Mitarbeiter etwa so bezahlt wie in vergleichbaren Stellen im öffentlichen Dienst. Ich halte dies für eine ganz entscheidende positive Entwicklung. Seit dieser Zeit kann man nicht mehr von einem "billigeren Kirchentarif" sprechen. Im Vergleich zum öffentlichen Dienst gilt seit dem für die Kirche im Großen und Ganzen der Grundsatz: "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Im Vergleich zur Wirtschaft gilt dies für viele Bereiche nicht. So verdient zum Beispiel eine Erzieherin in dem Kindergarten eines Chemieunternehmens monatlich etwa tausend Mark mehr als eine Erzieherin in einem kirchlichen oder städtischen Kindergarten, weil sie nach Chemietarif bezahlt wird. Und die Sekretärin bei einer Bank verdient mit Sicherheit wesentlich mehr als eine Kollegin im kirchlichen Dienst, die die gleiche Leistung erbringen muss. Es gibt selbstverständlich auch Branchen und Arbeitsbereiche, in denen in der Wirtschaft eine Bezahlung auf einem Niveau unterhalb der Richtlinien für Arbeitsverträge in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes (AVR) gegeben ist. Nun ist seit einem Vierteljahrhundert die Vergleichbarkeit der AVR mit den Vergütungen im Öffentlichen Dienst erreicht, und das ist gut so, das ist ein sozialer Fortschritt, der nicht ohne Not oder gar willkürlich aufgegeben werden darf. Allerdings wurde diese Vergleichbarkeit unter bestimmten Voraussetzungen erreicht, die heute zum Teil in Frage gestellt sind. Welche Folgen dies hat, werden wir später sehen.

Interessant ist, dass dieses materielle Ziel der Vergleichbarkeit der Vergütungen in der Kirche und im Öffentlichen Dienst weitgehend erreicht worden war, bevor ein kirchliches Arbeitsrechtsregelungsverfahren systematisch entwickelt und in Kraft gesetzt wurde: der so genannte Dritte Weg.

1.2 Der Dritte Weg

Im Verlauf der sechziger und Anfang der siebziger Jahre setzte sich in der evangelischen und in der katholischen Kirche in Deutschland die Erkenntnis durch, dass es dem Wesen des Dienstes in der Kirche nicht entspricht, wenn der Inhalt der Arbeitsverhältnisse kirchlicher Mitarbeiter einseitig durch den kirchlichen Gesetzgeber oder durch kirchliche Leitungsorgane gestaltet wird. Wenn dieser "Erste Weg" zur Regelung der Arbeitsverhältnisse ausschied, musste geklärt werden,ob die Kirche statt dessen Tarifverträge mit den Gewerkschaften abschließen sollte (der "Zweite Weg") oder ob es einen "Dritten Weg "zur Regelung der Arbeitsrechtsverhältnisse gebe. Es kann inzwischen als gesicherte Meinung gelten, dass das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen, das die Verfassung diesen garantiert, eine Verpflichtung der Kirchen auf das Tarifvertragssystem (Zweiter Weg) ausschließt. Tatsächlich haben auch nur ausnahmsweise zwei evangelische Landeskirchen (die nordelbische Kirche und die evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg) Tarifverträge abgeschlossen, allerdings mit erheblichen Modifikationen des Tarifvertragsrechtes.

Im Übrigen haben sich die evangelische Kirche in Deutschland und die katholische Kirche ausnahmslos für den Dritten Wegentschieden. Dieser geht von dem Grundsatz aus, dass die Dienstgemeinschaft auch in dem Verfahren zum Ausdruck kommen soll, in dem die Arbeitnehmer an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen beteiligt werden. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die folgenden Grundsätze:

  • Partnerschaft, das heißt Kooperation, nicht Konfrontation beim Ausgleich unterschiedlicher Interessen, weil im kirchlichen Dienst alle Beteiligten, Dienstgeber in gleicher Weise wie Dienstnehmer, der religiösen Grundlage und Zielrichtung ihrer Einrichtung verpflichtet sind;
  • Parität, das heißt Anerkennung der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung von Dienstgebern und Dienstnehmern;
  • Prinzip der Lohngerechtigkeit, die in der katholischen Kirche schon im allgemeinen Kirchenrecht, nämlich in can. 231 § 2 CIC,abgesichert ist;
  • keine Konfliktregulierung durch Streik und Aussperrung wegen der Unvereinbarkeit eines Arbeitskampfes mit den Grunderfordernissen des kirchlichen Dienstes, sondern das Einräumen der Möglichkeit, für jede Seite durch ein gestuftes Vermittlungsverfahren zu einer Regelung im Konsens zu kommen;
  • Sicherung der religiösen Grundlage und Zielbindung des kirchlichen Dienstes;
  • Sicherung einheitlicher Geltung für alle Arbeitsverhältnisse kirchlicher Dienstnehmer, unabhängig vom jeweiligen Anstellungsträger.

Die katholische Kirche hat im Dezember 1977 die rechtlichen Voraussetzungen für ein kircheneigenes Beteiligungsverfahren an der Gestaltung der Arbeitsbedingungen ihrer Mitarbeiter als Alternative zum Tarifvertragssystem geschaffen. Dadurch hat sie für ihren Bereich den Dritten Weg in Gang gesetzt. Die entsprechenden Ordnungen wurden inzwischen zweimal novelliert (1986 und 1997/98).

Schon bevor die Kirche in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes ein kircheneigenes Arbeitsrechtsregelungssystem schuf, hatte der Deutsche Caritasverband bereits eine paritätisch besetzte Arbeitsrechtliche Kommission gebildet. Bereits im September 1966 hatte die Deutsche Bischofskonferenz Richtlinien für die Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft zwischen den Bistümern in der Bundesrepublik und der Arbeitsrechtlichen Kommission erlassen. Erst durch das Zusammenwirken mit der Arbeitsgemeinschaft kommen die Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) zustande. Dadurch wird das Arbeitsrecht des Caritasverbandes in die verfasste Kirche eingeordnet.

In Nordrhein-Westfalen gab es seit Mitte der siebziger Jahre eine ständige Kommission der Diözesen in Nordrhein-Westfalen und des Zentralverbandes katholischer Kirchenangestellter Deutschlands (ZKD). Aufgabe der paritätisch besetzten "ständigen Kommission "war es, Fragen der "Kirchlichen Arbeits- und Vergütungsordnung" (KAVO), die Durchführung der KAVO sowie sonstige Fragen vergütungs-, arbeits- und sozialrechtlicher Art zu verhandeln. Auch diese "ständige Kommission" war eine Vorstufe auf dem Weg zu einem kircheneigenen Arbeitsrechtsregelungssystem.

Inzwischen haben die deutschen Bischöfe durch die als Kirchengesetz erlassene Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse eine einheitliche Ordnung des kircheneigenen Arbeitsrechts abgesichert. Entscheidend ist nämlich, dass die aus der Verfassungsgarantie des Selbstbestimmungsrechts sich ergebende Ordnungsbefugnis kein Arbeitgeberprivileg ist, sondern ein Recht der Religionsgesellschaft. Das kirchliche Selbstbestimmungsrecht steht also nicht einer einzelnen kirchlichen Einrichtung zu, sondern ist ein Recht der Kirche. Das Bundesverfassungsgericht verweist eindeutig auf die von der verfassten Kirche anerkannten Maßstäbe. Für die katholische Kirche ist deshalb maßgebend, was die Bischöfe durch Gesetz festgelegt haben. Nur Vereine, Träger und Einrichtungen, die für den arbeitsrechtlichen Bereich die Grundordnung der Bischöfe anwenden, können die für die Kirchen in staatlichen Arbeitsgesetzen vorgesehenen Öffnungsklauseln bei sich anwenden und sich in den von der Verfassung geschützten Freiraum begeben.

In unserem Zusammenhang hat dies die unabweisbare Folge, dass kirchliche Einrichtungen nicht irgendwelche Vergütungssysteme in ihrem Bereich anwenden können, sondern nur solche, die durch die zuständige paritätisch besetzte Kommission ("Kommission zur Ordnung des Diözesanen Arbeitsvertragsrechtes" (KODA) bzw. "Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes") verabschiedet worden sind. Ein davon abweichendes Arbeitsrecht kann ein kirchlicher Rechtsträger nur im Rahmen der für den Dritten Weg geltenden Verfahrensregelungen einführen. Noch einmal sei betont, dass das kirchliche Selbstbestimmungsrecht ein Recht der Religionsgesellschaft und kein Arbeitgeberprivileg ist. Ein kirchlicher Rechtsträger kann also nicht von sich aus eine eigene KODA einrichten und in dieser von den bestehenden Arbeitsvertragsgrundlagen abweichende Regelungen beschließen lassen. Die Bildung einer eigenen KODA muss in einer vom Bischof erlassenen Ordnung vorgesehen sein (siehe KODA-Ordnung der (Erz-)Bistümer in NRW) oder die abweichende Regelung muss in einer vom Bischof in Kraft gesetzten Regelung einer bestehenden KODA oder Arbeitsrechtlichen Kommission vorgesehen sein (siehe Anlage 19 der AVR).

Faktisch nehmen heute die im Dritten Weg entstandenen Regelungen den Platz von Tarifverträgen ein. In der rechtlichen Bewertung beider Wege gibt es im Schrifttum und in der Rechtsprechung zum Teil noch erhebliche Unterschiede. Von entscheidender Bedeutung für die heutige rechtliche Bewertung ist das Urteil des 10. Senates des Bundesarbeitsgerichtes vom 28.01.1998. Bemerkenswert an diesem Urteil ist, dass es Gründe aufzählt, die gegen jegliche Inhaltskontrolle kirchlicher Arbeitsvertragsordnungen sprechen: eine unabhängige Mitgliedschaft in der Kommission, die paritätische Zusammensetzung, die Selbstbindung der Kirche an den Grundsatz der Lohngerechtigkeit(can. 231 § 2 CIC). All dies gewährleistet eine Richtigkeit der Arbeitsbedingungen, die als nicht geringer anzusehen ist als die Richtigkeitsgewähr eines Tarifvertrages, die durch die Möglichkeit wechselseitiger Druckausübung im Arbeitskampf erreicht wird. Diese Gründe und nicht die Übernahme tarifvertraglicher Regelungen sind entscheidend dafür, dass auch bei kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen keine Inhaltskontrolle, sondern nur eine Rechtskontrolle am Maßstab der Grundrechte erfolgen sollte.

In den letzten Jahren hat es sogar zunehmend Stimmen gegeben, die den Dritten Weg nicht mehr als eine schwächere, schlechtere Lösung gegenüber dem Zweiten Weg ansehen, sondern durchaus als eine bedenkenswerte Alternative zum Tarifvertragssystem - auch außerhalb des kirchlichen Bereichs. Dies gilt insbesondere für die Tatsache, dass im Dritten Weg jede Seite jede Regelungsfrage, die Inhalt und Abschluss von Arbeitsverhältnissen zum Gegenstand hat,in die Verhandlung der Kommissionen einbringen und gegebenenfalls über das Vermittlungsverfahren zur Beschlussfassung bringen kann.

In der Kirche ist in den letzten Jahren das Bewusstsein für die Bedeutung und die Erfordernisse des Dritten Weges zweifellos gewachsen. Allerdings gibt es immer noch weite Bereiche, in denen man um Verständnis für diesen Weg werben muss. Dies wird durch aktuelle Entwicklungen der letzten Jahre vielfach erschwert. Damit kommen wir zum zweiten Teil, den aktuellen Krisen.


 

2. Heutige Krisen

Wenn der Dritte Weg und vor allem die vollständige Übernahme der BAT-Abschlüsse auf dem Dritten Weg heute bisweilen in Fragegestellt werden, dann ist dies primär nicht innerkirchlich verursacht.

2.1 Die leeren Kassen

Der erste und entscheidende Grund für die Infragestellung des bisherigen Systems sind die leeren Kassen: die Finanzkrise der Sozialkassen, die Krise der öffentlichen Haushalte sowie der Rückgang der Kirchensteuermittel.

Im Sozialbereich befinden wir uns in einem Übergang von der Kostendeckung zur Kostendeckelung. Dabei muss man zugeben,dass das bisherige Kostendeckungsprinzip zwar das fairste, weil es die exakt benötigten Kosten erbringt, zugleich aber das ungerechteste und unkontrollierbarste System ist, weil es sparsames und effizientes Wirtschaften nicht belohnt, ja nicht einmal Anreize dafür gibt. Der BAT als Refinanzierungsnorm wird nicht mehr allgemein akzeptiert. Das führte dazu, dass in Bereichen der Diakonie (insbesondere in den neuen Bundesländern), der AWO, des DRK und des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zum Teil nicht mehr der hundertprozentige BAT,sondern ein BAT-light Anwendung fand. Die anderen Wohlfahrtsverbände halten zwar offiziell am BAT fest, tatsächlich wird durch die Schaffung eigener Rechtsträger (GmbHs) "BAT-light" praktiziert, zum Beispiel das DRK in Frankfurt und Hamburg durch Rettungsdienst-GmbHs. Diese Entwicklung ist insbesondere auch in den neuen Bundesländern zu beobachten. In der Arbeitsrechtlichen Kommission hat es in den letzten Jahren heftige Auseinandersetzungen darüber gegeben, ob nicht eine ähnliche BAT-light-Lösung geboten sei.

2.2 Markt-Mechanismen

Hinzu kommt ein Konkurrenzkampf mit privatgewerblichen Anbietern,die durch niedrige Löhne vor allem im hauswirtschaftlichen Bereich Wettbewerbsvorteile erlangen. Im Sozialbereich kommt es mehr und mehr zu einer eigenartigen Akzentverschiebung. Nicht mehr die konkrete Notlage (der unter die Räuber Gefallene) löst die(schließlich auch strukturierte und organisierte) Hilfe aus, sondern es ist ein Wettstreit entstanden um den Kranken, Obdachlosen und Hungrigen. Es ist ein Wettstreit entstanden, helfen zu dürfen und den entsprechenden Marktanteil zu behalten. Der günstigste Anbieter bekommt den Zuschlag für die Dienstleistung, private Anbieter treten auf und werden zur Konkurrenz. Sie üben durch zum Teil prekäre Beschäftigungsverhältnisse Druck auf die Preise aus. Dies hat zur Folge, dass Träger sich über die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten Kostenvorteile zu verschaffen versuchen. Können wir uns den "teuren BAT" noch leisten, wenn andere vergleichbare Leistungen billiger erbringen? Betreuungsverhältnisse werden nachpauschalen Stundensätzen finanziert. Die öffentliche Hand geht dazu über, soziale Dienste an den billigsten Anbieter zu vergeben. Ferner wird darauf verwiesen, dass viele Kommunen selbst ganze Aufgabenbereiche privatisiert haben oder privatisieren wollen, nicht nur die Müllabfuhr und die Verkehrsbetriebe, sondern inzwischen auch ambulante soziale Dienste oder Krankenhäuser. Der BAT ist zuteuer geworden. Muss dies nicht zu ähnlichen Konsequenzen auch im Bereich der Sozialverbände führen? Ist der BAT für die Kirche noch bezahlbar?

Die durch die Marktmechanismen aufgeworfenen Fragen treffen inzwischen die Struktur des Caritasverbandes im Kern. Was noch vor einigen Wochen in kleineren verbandsinternen Zirkeln diskutiert wurde, ist spätestens seit Heft 7 der "neuen caritas" (vom 19. April 2000) Gegenstand einer öffentlichen Diskussion. Noch im Oktober 1999 hatte die Vertreterversammlung des Deutschen Caritasverbandes, das höchste beschlussfassende Gremium des Verbandes, mit großer Einigkeit die Einheit von Anwaltschaft und Dienstleistung in der Caritas beschworen. Kurz darauf meldete sich eine Gruppe von Einrichtungsträgern zu Wort. Die "großen Träger" fordern eine Trennung der Anwaltsfunktion von der Interessenvertretung für soziale Dienstleistung. Sie wollen die Caritas aufteilen in eine "Caritas I", den "Sozialverband" und in eine "Caritas II", den "Unternehmensverband". Ich würde sagen, in eine Caritas, die für die Armen lebt, und eine Caritas, die von den Armen lebt, das heißt, von ertragreichen Unternehmungen zu Gunsten der Armen. Der Diskussion ist nicht auszuweichen. Der Deutsche Caritasverband, die Diözesan-Caritasverbände und die Fachverbände müssen ihre Aufgabenstellung und ihre Struktur sorgfältig überprüfen. Schon jetzt warne ich aus meiner Sicht allerdings vor einer wirklichen Aufteilung in "Caritas I" und "Caritas II". Auch die allen bekannte Skandalgeschichte der Caritas-Trägergesellschaft Trier (ctt) bestärkt mich in dieser Auffassung, denn die dortige Unternehmensphilosophie, das Unternehmen in gewinnorientierte Einrichtungen und in eine gemeinnützige ctt aufzuteilen, wobei der gemeinnützige Teil von finanziellen Zuflüssen des gewinnorientierten Teils leben sollte, hat sich, wie die Diözesan-Caritasdirektorin, Frau Dr. Kugel, feststellt, im Nachhinein als falsch erwiesen. Im Übrigen hat sich auch der Zentralvorstand des Deutschen Caritasverbandes durch seine Zustimmung zu den Thesen seines Ausschusses "Theologie und Ethik" zum Thema "Der Deutsche Caritasverband als Anwalt und Partner Benachteiligter" (am 10. Mai 2000) dafür ausgesprochen, in der Caritas die Rolle des Anwalts und die Rolle des sozialen Dienstleisters zwar "strikt auseinanderzuhalten", aber keineswegs konsequent zu entflechten.

Diese Fragestellung geht über unser heutiges Thema weit hinaus. Dennoch musste ich diese grundsätzliche Diskussion auch hier einführen, weil im Forderungskatalog der großen Einrichtungsträger eine radikale Reform der Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) eine besonders vordringliche Rolle spielt. Die AVR müssten gerechter,sozialer, menschlicher und christlicher werden und wirtschaftliches Arbeiten ermöglichen. So lauten, kurz zusammengefasst, die Forderungen. In diesem Forderungskatalog steht die Lohngerechtigkeit an der Spitze. Diese sieht man (nur) dann gewährleistet, wenn die Vergütung der aktuellen Leistung(Leistungsbereitschaft und Arbeitsergebnis) entspricht.

2.3 Leistungsgerechte Bezahlung

Die Struktur des BAT wird von vielen Dienstgebern und manchen Mitarbeitern als ungerecht, unflexibel und leistungshemmend angesehen. Man spricht davon, dass Zöpfe aus dem Beamtenrecht abgeschnitten werden müssten. Hierzu gehören die Dienstaltersstufen, das Aufrücken nach Lebensalter, die Laufbahnprinzipien auch im Tarifrecht für Angestellte,Bewährungsaufstieg, ausbildungsbezogene statt tätigkeits- und leistungsbezogene Vergütung. Nicht nur viele Dienstgeber, auch manche Mitarbeiter halten das jetzige System für überholt. Ist es richtig, dass ein älterer Mitarbeiter für die gleiche, manchmal sogar für eine schwächere Leistung Hunderte von Mark mehr erhält als einjüngerer Mitarbeiter, der unter Umständen "sehr viel mehr bringt" als der ältere Kollege?

Auch im Bereich des BAT gibt es seit Jahren Überlegungen, ob man nicht zu einer leistungsgerechteren Bezahlung kommen muss. Bisher sind alle Bemühungen in dieser Richtung gescheitert. So fragt man sich im Bereich der Diakonie und Caritas, ob man so lange warten soll, bis der BAT diesen Schritt nach vorne getan hat oder ob hier nicht eine wenigstens teilweise Abkopplung von den "Zöpfen des BAT" notwendig sei.

Eine leistungsbezogene Vergütung befürworten eigentlich alle. Dabei haben viele, wenn nicht sogar die meisten Mitarbeiter die Hoffnung,dass ihnen aufgrund ihrer Leistung mehr zusteht, als sie bisher bekommen. Die Arbeitgeber hoffen auf eine höhere Motivation und damit auf eine noch bessere Leistung. Finanzieren lässt sich so etwas aber nur, wenn die Dienstaltersstufen und der Bewährungsaufstieg abgeschwächt, gedämpft werden. An eine völlige Abschaffung denken nur wenige. Dass eine solche Änderung natürlich auch Nachteile hat, gerade für die Schwächeren, liegt auf der Hand. Und vor allem muss allen klar sein, dass die Leistungsbemessung in den verschiedensten Dienstbereichen sehr kompliziert wird, wenn man Willkür verhindern und das Vorgehen transparent machen will.

Das Thema ist da, die Unruhe, die es ausgelöst hat, bleibt, Lösungen sind noch nicht in Sicht.

2.4 Einheit des kirchlichen Dienstes

Schließlich gibt es an vierter und letzter Stelle ein kirchenspezifisches Thema, das Unruhe verursacht: die Einheit des kirchlichen Dienstes. Was die Einheit des kirchlichen Dienstes erfordert, ist zunächst und entscheidend in der Grundordnung als bischöfliches Gesetz festgeschrieben. Wichtig ist in diesem Bereich auch die Ordnung der Zentral-KODA, die einige wenige Dinge verbindlich für den gesamten kirchlichen Dienst im Bereich der Bundesrepublik regeln kann. Die Einheit des kirchlichen Dienstes verpflichtet aber nicht zur einheitlichen Regelung jeglicher Arbeitsverhältnisse bei jeglichem Rechtsträger. Es stünde nicht im Widerspruch zum kirchlichen Dienst,wenn Vergütungen im Bereich der verfassten Kirche anders geregelt würden als im Bereich der Caritas. Es wäre denkbar, dass Krankenhäuser auch in der Struktur andere Vergütungsregelungen hätten als Kindergärten. Betriebliche Öffnungsklauseln, die Rücksicht auf Besonderheiten einer einzelnen Einrichtung nehmen, stehen nicht im Widerspruch zur Einheit des kirchlichen Dienstes.

Schon heute ist die Vielfalt der Vergütungsregelungen innerhalb der katholischen Kirche in Deutschland sehr groß und, wenn ich es recht sehe, in der evangelischen Kirche noch größer. Dennoch stehen hier noch ungelöste Probleme vor uns. Ist es denkbar, dass die Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes eine größere Vielfalt entwickeln, teilweise zu Rahmenbestimmungen übergehen, mehr Öffnungsklauseln enthalten? Schafft es eine Regional-KODA, wie zum Beispiel die für die nordrhein-westfälischen Bistümer, unterschiedlich gewachsene Besoldungsstrukturen kirchlicher Einrichtungen zu integrieren oder werden einzelne kirchliche Rechtsträger gezwungen, im Rahmen der bischöflichen Gesetzgebung Spezial-KODEN zu bilden? Alle diese Fragen stehen im engen Kontext zu den Problemen, die durch die leeren Kassen, die Marktmechanismen und die Suche nach leistungsgerechterer Vergütung ausgelöst wurden.

 


 

3. Ausblick

Im dritten Teil will ich nun einen Ausblick auf die weitere Entwicklung wagen, wobei gerade in diesem Teil die persönliche, subjektive Einschätzung ausschlaggebend ist.

3.1 Zukunft des Dritten Weges

Hat der Dritte Weg angesichts der geschilderten Schwierigkeiten überhaupt eine Zukunft? In der Vergangenheit hat das kircheneigene Arbeitsrechtsregelungssystem heftige Kritik von Gewerkschaftsseite und Skepsis von der Arbeitgeberseite erfahren. In der letzten Zeit verstärken sich jedoch im gesellschaftlichen Bereich Stimmen, die auch für das Tarifvertragssystem im weltlichen Bereich Verfahrensweisen einer konsensorientierten Konfliktlösung jenseits von Streik und Aussperrung fordern. Ohne dass ausdrücklich darauf Bezug genommen wird, werden Strukturelemente des Dritten Weges,die paritätisch besetzte Kommission und mehrstufige Vermittlungsverfahren, vorgeschlagen. Im Bereich des Arbeitsrechts werden unter dem Stichwort Mediation neue (verwissenschaftlichte) Verfahren zur außergerichtlichen Verhandlung und Vermittlung in Konflikten entwickelt. Angesichts dieser Entwicklung könnte der Dritte Weg durchaus an Bedeutung gewinnen.

Aber selbst wenn man nicht so optimistisch ist, dürfte man angesichts der jetzt aufgekommenen Schwierigkeiten nicht die Sache selbst in Frage stellen. Wir dürfen nicht bei der ersten Schlechtwetterperiode den Mut sinken lassen. Natürlich bedürfen die Strukturen der Arbeitsrechtlichen Kommission und der KODEN einer ständigen Überprüfung. Für den Bereich der Arbeitsrechtlichen Kommission ist ein entsprechender Beschluss von den Organen des Deutschen Caritasverbandes gefasst worden. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass der Dritte Weg auch in Zukunft eine durchaus sinnvolle und praktikable, möglicherweise sogar eine attraktive Alternative zum Tarifvertragssystem ist und dass die katholische Kirche an diesem Weg festhalten wird. Das erfordert allerdings, alles zu tun, um die Glaubwürdigkeit des Dritten Wegs zu wahren, insbesondere durch die organisatorische Distanz zum Tarifvertragswesen.

3.2 BAT-light?

Ich war skeptisch und ich bin skeptisch, für den kirchlichen Bereich so etwas wie "BAT-light" einzuführen. Ich halte überhaupt nichts davon, dass für den kirchlichen Dienst durchgehend die tariflichen Anpassungen des BAT verspätet oder um einige Punkte hinter dem Komma niedriger eingeführt werden. Dann würde man den Grundsatz, der vor drei Jahrzehnten soeben erreicht war, nämlich die gleiche Bezahlung der kirchlichen Mitarbeiter wie im öffentlichen Dienst, zu schnell aufgeben. Die Lage in den einzelnen Bistümern und einzelnen kirchlichen Einrichtungen ist auch so unterschiedlich, dass man für eine flächendeckende Entscheidung meines Erachtens keine ausreichende Begründung aus finanzieller Sicht geben könnte.

3.3 Eigenständiger Kirchentarif?

Es wird dann immer wieder in die Debatte geworfen, ob es sinnvoll sein könnte, einen eigenständigen Kirchentarif zu entwickeln, zwar in einer gewissen Nähe und Anlehnung an den BAT, aber doch letztlich eigenständig. Einem solchen Gedanken begegne ich mit allergrößter Skepsis. Ich ordne ihn in den Bereich der Utopie ein. Zunächst vergessen die meisten, die solche Gedanken ins Spiel bringen,welche Kosten es verursachte, wenn man einen eigenständigen Tarif entwickeln und pflegen wollte. So gewichtig dieses Argument ist, es ist für mich von zweitrangiger Bedeutung. Wichtiger sind andere Argumente. In vielen Bereichen arbeiten wir immer noch nach klaren Refinanzierungsregeln, die von einer BAT-Vergütung ausgehen. Es wäre sicher nicht unmöglich, auch bei einem kircheneigenen Tarif,eine Refinanzierung sicherzustellen (zum Beispiel in Schulen und Kindergärten). Aber es würde von Fall zu Fall außerordentlich kompliziert und man müsste sich fragen, welchen Sinn so etwas überhaupt macht. In all diesen Bereichen sollte man aus sachlichen Gründen bei der BAT-Übernahme bleiben und nicht nach einem kircheneigenen Tarifsystem schielen. Wenn ich an kirchliche Verwaltungen in Großstädten und Ballungsräumen denke, verbietet es der Eigennutz der Dienstgeber, die Mitarbeiter schlechter zu bezahlen als im öffentlichen Dienst, weil dies über kurz oder lang mit Sicherheit zu einer negativen Personalauswahl führen müsste. Es sind also nicht nur soziale Argumente, die aus meiner Sicht gegen ein völlig eigenständiges kirchliches Tarifsystem sprechen, sondern auch der blanke Eigennutz.

3.4 Weiterentwicklung der AVR

Welche Weiterentwicklungen sind nun noch möglich, wenn die bisher aufgezeigten Richtungen sich als Sackgassen erweisen? Schauen wir zunächst auf die AVR, die seit 1949 ein bundesweit für den Caritasbereich anzuwendendes Regelwerk ist. Würde man statt einer bundeseinheitlichen AVR mehrere regionale AVRen mit regionalen Arbeitsrechtlichen Kommission schaffen, wäre der finanzielle und personelle Aufwand für die betroffenen Diözesan-Caritasverbände und die Bistümer wesentlich höher. Das gilt auch, wenn der Caritasbereich in die bestehenden Regional- und Bistums-KODEN einbezogen würde.

Empfehlenswert wäre jedoch die Weiterentwicklung der AVR in mehrere Sparten für die einzelnen Hilfebereiche, die die spezifischen Pflegesatzverfahren oder die allgemeine Refinanzierungssituation besser berücksichtigen. Deshalb könnte ich mir vorstellen, dass die AVR in der Weise weiterentwickelt werden, dass für die einzelnen Hilfebereiche der Caritas eigenständige Regelungen geschaffen werden, die von einem gemeinsamen Mantelteil umfasst werden. Denkbar wären zum Beispiel:

  • eine AVR für den Krankenhausbereich,
  • eine AVR für den stationären Bereich,
  • eine AVR für den ambulanten Bereich,
  • eine AVR für den Verwaltungs- und Verbandsbereich.

Eine ähnliche Entwicklung halte ich auch für den Bereich der Regional- und Bistums-KODEN für möglich, zum Teil sogar fürnotwendig.

3.5 Keine ausschließliche Bindung an BAT

Die Kostendeckelung im Sozialbereich und der Konkurrenzkampf mit privatgewerblichen Anbietern (vgl. oben 2.1 und 2.2) haben für manche Bereiche unabweisbar die Frage aufgeworfen, ob der BAT noch bezahlbar sei. Die Alternative ist für mich aber nicht ein völlig selbstentwickeltes Tarifsystem, sondern die Übernahme anderer, für den jeweiligen Bereich geeigneterer Tarife des säkularen Bereichs. Tatsächlich gibt es schon seit längerem Ausnahmefälle, in denen im kirchlichen Bereich andere Tarife übernommen werden, nicht weil diese billiger, sondern von der Sache geeigneter als der BAT sind.

So werden die Mitarbeiter der Kölner Dombauhütte, die zweifellos einkirchlicher Betrieb ist, seit Jahren und lange bevor es überhaupt eine KODA gab, nach dem Tarif von Bau, Steine, Erden entlohnt. Wir haben zur Zeit erhebliche Schwierigkeiten, dies im Bereich der Regional-KODA von Nordrhein-Westfalen zu integrieren. Falls dies nicht gelingen sollte, müsste für die Dombauhütte eine eigene KODA geschaffen werden, was sicher nicht sinnvoll wäre. Es ist auch zu fragen, ob die Mitarbeiter, die im gastronomischen und hauswirtschaftlichen Bereich tätig sind, unbedingt in Anlehnung an BAT vergütet werden sollen, da in vielfacher Hinsicht das Tarifgefüge des Gaststättenbereichs sehr viel geeigneter wäre (und auch billiger)als der BAT. Schließlich gibt es - um noch ein drittes Beispiel zu nennen - private Kliniken, deren Mitarbeiter nach dem "Manteltarifvertrag für private Krankenanstalten" entlohnt werden, und dieser Tarifvertrag sieht niedrigere Vergütungen als der BAT vor. Wenn diese privaten Kliniken in Konkurrenz zu Caritaseinrichtungen stehen, wirkt sich die unterschiedliche Vergütung der Mitarbeiterbelastend, möglicherweise sogar existenzbedrohend aus. Zweifellos gibt es noch eine Reihe anderer Beispiele, in denen säkulare Tarife geeigneter und niedriger sind als der BAT für den jeweiligen Bereich.

Dr. Thüsing wies in seinem Vortrag auf der Fachtagung der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen Caritasverbandes zur Weiterentwicklung der AVR am 30./31. März 1999 darauf hin, dass gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 BSHG die Einrichtungsträger im Bereich der Sozialhilfe den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistung Rechnung tragen müssen. Hierzu kann auch gehören,keine ungewöhnlich hohen, die Entgelte säkularer Arbeitgeberwesentlich übersteigende Lohnkosten zu zahlen. Wenn es sozusagen "konkurrierende" Tarifsystem im säkularen Bereich gibt,ist eine "gerechte Bezahlung" nicht nur dann gewährleistet, wenn man den für die Mitarbeiter günstigsten Tarif wählt. Unter Umständen gefährdet dies sogar die Existenz einer Einrichtung oder es provoziert die Ausgliederung bestimmter Arbeitsbereiche auf einen weltlichen Träger, der nicht mehr an die zu teuren innerkirchlichen Vergütungssysteme gebunden wäre. Dies kann meines Erachtens nicht sinnvoll sein und es würde die Dienstgemeinschaft in Fragestellen.

Solange die kirchlichen Dienste mit dem Öffentlichen Dienst weithin vergleichbar waren und solange die Einrichtungen der Freien Wohlfahrtspflege mit den Einrichtungen der öffentlichen Wohlfahrtspflege die einzigen "Konkurrenten" im Sozialbereich waren,war es nicht nur sinnvoll, sondern sogar notwendig, den BAT als einzige "Leit-Währung" für die Vergütungen anzuerkennen. Für viele Bereiche (Kindergärten, Schulen, kirchliche Verwaltungen) gilt dies auch heute noch. Dort aber, wo kirchliche Einrichtungen in Konkurrenz stehen zu privaten Anbietern, die nach niedrigeren Tarifen arbeiten,dort, wo Kommunen bestimmte Dienste privatisieren, um nach niedrigeren Tarifen arbeiten zu können, müssen Kirche und Caritas überlegen, ob sie mit der Übernahme des "teureren BAT" dauerhaft überhaupt eine Chance haben oder ob sie auch für ihre Dienste die niedrigeren Tarife der Konkurrenz übernehmen müssen. Wenn die öffentliche Hand mehr und mehr dazu übergeht, soziale Dienste an den billigsten Anbieter zu vergeben, werden wir in diesen Bereichen auf Dauer nicht überleben, falls wir weiterhin nach den Maßstäben des BAT entlohnen. Bei einzelnen Diensten werden Finanzierungslücken entstehen, die niemand bezahlt.

Deshalb bin ich der Überzeugung, dass wir in Zukunft die ausschließliche Bindung an BAT nicht halten können.

3.6 Öffnungsklauseln

Von entscheidender Bedeutung sind meines Erachtens auch für die Weiterentwicklung unseres Systems Öffnungsklauseln, die einmal kalkulierbare Experimente ermöglichen und die zum anderen die Möglichkeit für eine einzelne Einrichtung eröffnen, eine existenzbedrohende Situation zu meistern. Dies erfordert allerdings eine Weiterentwicklung der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO), was zum Teil schon geschehen ist und woran in den zuständigen Gremien weiter gearbeitet wird.

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Entwicklungen im Bereich des kollektiven Arbeitsrechts der Kirche sind möglich und zum Teil auch notwendig. Radikale Lösungen sind meines Erachtens gefährlich, ganz gleich, von welcher Seite sie gefordert werden. Hierzu zähle ich ein stures Festhalten an der BAT-Übernahme für sämtliche kirchlichen Bereiche, aber auch das Streben nach einem völlig neuen, nur leistungsorientierten eigenständigen kirchlichen Tarifsystem. Beide Bestrebungen würden in Kürze zu erheblichen Spannungen, wenn nicht sogar zu Brüchen im kirchlichen Bereich führen. Jetzt ist die Partnerschaft, eine der wesentlichen "Tugenden des Dritten Wegs", gefordert. Alle Seiten müssen lernen, aufeinander zu hören, um sich besser zu verstehen, und alle Beteiligten sollten den festen Willen haben, gemeinsam nach Lösungen für die Zukunft zu suchen. Dabei sind sie gut beraten, die vor uns liegenden Aufgaben mit Vorsicht und Augenmaß anzugehen. Wir tragen nicht nur Verantwortung für mehrere hunderttausend kirchliche Arbeitnehmer, sondern auch für das Erscheinungsbild und die Glaubwürdigkeit der Kirche in unserer Gesellschaft. Wer dies bedenkt, wird nicht zu voreiligen und radikalen Lösungen kommen.