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Augenmaß ist gefragt
Die Gewerkschaft Verdi greift eine alte Forderung auf: Die Kirchen sollen Tarifverträge schließen.
Diese aber lehnen das aus vielerlei Gründen ab

Norbert Feldhoff
Generalvikar des Erzbischofs von Köln Vizepräsident des Deutschen Caritasverbandes

Artikel in Christ und Welt 22.6.2001


Kirche als Arbeitgeber - das ist ein Test auf die Glaubwürdigkeit kirchlicher Stellungnahmen zu einer sozial gestalteten Arbeitswelt. Wie Kirche ihre Beschäftigten bezahlt, welche Rechte und Möglichkeiten sie ihnen eröffnet, welche Arbeitsbedingungen sie anbietet, das redet mit, wenn sie sich zu Fragen des Arbeitsmarktes zu Wort meldet. Das Thema scheint immer mit auf, wenn die Regelung des kirchlichen Arbeitsrechts wieder einmal öffentliches Interesse findet.

Zuletzt war es die neu formierte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, die forderte, dass auch in den Kirchen Tarifverträge - natürlich mit ihr - geschlossen und damit die Instrumentarien der Tarifauseinandersetzungen auch hier eingeführt werden sollten. Damit hat sie eine Forderung der früheren Gewerkschaft ÖTV aufgegriffen, die sich seit etwa fünf Jahren mit wachsender Energie bemühte, in der Kirche Fuß zu fassen. Hinter dem Vorstoß steht auch ein Versuch, das letzte große Feld für die Gewerkschaften einzunehmen. Denn die Kirchen beschäftigen, einschließlich ihrer Sozialverbände, über eine Million Menschen und sind damit nach dem Staat der größte Arbeitgeber in Deutschland.

 

Partnerschaft und Parität

Die Kirchen haben sich jedoch zu einem "dritten Weg" entschlossen. In den sechziger und Anfang der siebziger Jahre setzte sich bei ihnen die Erkenntnis durch, dass es dem Wesen der Kirche nicht entspricht, wenn die Arbeitsverhältnisse kirchlicher Mitarbeiter einseitig durch Leitungsorgane bestimmt werden (der "erste Weg"). Aber auch das Tarifvertragssystem einschließlich seiner Kampfinstrumente (der "zweite Weg") war nicht mit dem kirchlichen Selbstverständnis vereinbar. Daher gingen die katholische wie die evangelische Kirche daran, ein Verfahren zu entwickeln, das dem Verständnis der Dienstgemeinschaft im kirchlichen Auftrag entspricht und eine Einigung im Blick auf Tarife und arbeitsrechtliche Übereinkünfte in paritätisch besetzten Kommissionen möglich machte. Partnerschaft, Parität, Lohngerechtigkeit und Sicherung der religiösen Grundlagen des kirchlichen Dienstes waren die leitenden Ziele dieser Regelung. Zudem hielt man Arbeitskämpfe mit Streiks und Aussperrungen für unvereinbar mit dem kirchlichen Auftrag wie auch mit dem Konzept der Dienstgemeinschaft. Nur zwei der 24 evangelischen Landeskirchen, Nordelbien und in Berlin-Brandenburg, haben Tarifverträge mit Gewerkschaften abgeschlossen, allerdings mit erheblichen Modifikationen des Tarifvertragsrechts. Im Übrigen haben sich die evangelische und die katholische Kirche in großer ökumenischer Gemeinsamkeit auf den "dritten Weg" begeben.

Im Deutschen Caritasverband gibt es bereits seit fast 50 Jahren die "Arbeitsrechtliche Kommission". In den Diözesen wurden in den siebziger Jahren "Kommissionen zur Ordnung des Diözesanen Arbeitsvertragsrechts" (Koda) eingerichtet, denen auf evangelischer Seite in den Landeskirchen und auf der Ebene der EKD die "Arbeitsrechtliche Kommission" entsprach, in der bis 1996 auch Vertreter der Gewerkschaften auf der Arbeitnehmerseite vertreten waren. Danach kündigten sie die Mitarbeit in diesem System auf, um ausschließlich für Tarifverträge zu kämpfen. Seit Ende der sechziger Jahre wurden zudem die kirchlichen Tarife an den Bundesangestelltentarif (BAT) angeglichen mit der Folge, dass die kirchlichen Kommissionen in der Regel den jeweiligen BAT-Abschluss übernehmen. Die Rechtsprechung hat dem Weg der Kirchen zugestimmt und besonders das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nachhaltig bekräftigt. Inzwischen werden sogar Stimmen laut, die den "dritten Weg" auch außerhalb der Kirche als bedenkenswerte Alternative zum Tarifvertragssystem ansehen und konsensorientierte Konfliktlösungen jenseits von Streik und Aussperrung fordern.

Beim Arbeitsrecht werden unter dem Stichwort Mediation neue, verwissenschaftlichte Verfahren zur außergerichtlichen Verhandlung und Vermittlung in Konflikten entwickelt. Diese Entwicklung spricht dafür, dass der "Dritte Weg" eine zukunftsträchtige Variante darstellt. In den letzten Jahren geriet der kirchliche Weg zunehmend unter Rechtfertigungszwang, vor allem durch den anhaltenden Druck der Finanzkrisen bei den Sozialkassen und den öffentlichen Händen. In dem Maße, wie auch im öffentlichen Bereich der BAT als teuer, unflexibel und zu wenig leistungsorientiert in die Kritik kam, ging auch seine Bedeutung als Refinanzierungsnorm zurück. Die Pflegesatz- und Vergütungsverhandlungen von Diakonie und Caritas können sich zunehmend weniger an diesem Tarif orientieren: Im Krankenhaus treten Fallpauschalen an seine Stelle, in der Pflege die Module, in der Jugendarbeit wird zunehmend auf der Basis von Projekten ausgeschrieben und abgerechnet. Die Kommunen selbst haben begonnen, die Gültigkeit des BAT zu begrenzen, indem sie Aufgaben privatisieren, in neuerer Zeit nicht nur bei der Müllabfuhr. Die Entwicklung hat auch schon die Krankenhäuser erreicht. In den solcherart ausgegründeten oder sogar veräußerten Betrieben können andere Tarife vereinbart werden. Zum Teil haben auch soziale Einrichtungen Bereiche wie Küche und Reinigungsdienste ausgegründet. Für deren Mitarbeiter gilt kein BAT mehr.

Als Irrweg erwies sich allerdings das Konzept der früheren Caritas-Trägergesellschaft im Bistum Trier, zwischen profitablen und gemeinnützigen Bereichen zu trennen und mit den Erlösen der einen die Kosten der anderen zu finanzieren. Hinzu kommt ein Konkurrenzkampf mit privatgewerblichen Anbietern. Sie haben Wettbewerbsvorteile durch niedrigere Tarife vor allem im hauswirtschaftlichen Bereich. Sie haben dadurch günstigere Preise, und die öffentliche Hand geht zunehmend dazu über, soziale Dienste an den billigsten Anbieter zu vergeben. Für die freigemeinnützigen Werke, allen voran die kirchlichen, öffnet sich eine Schere: Die Kostensteigerungen durch die jährlichen Tariferhöhungen werden durch die Entgelte nicht mehr aufgefangen. Das lässt die Frage aufkommen, ob der BAT für die Kirchen noch bezahlbar ist, zumal auch die Kirchen selber sparen müssen. Doch mit einer schlichten Absenkung würden neue Probleme auftauchen, bis dahin, dass für niedrige Vergütungen kaum noch qualifizierte Beschäftigte zu bekommen sind.

Und schließlich tritt die Frage einer Leistungsorientierung in den Vordergrund. Viele Dienstgeber und auch manche Mitarbeiter möchten Zöpfe des BAT aus dem Beamtenrecht abgeschnitten sehen, etwa den Einfluss von Lebensalter, Ausbildung, Familiengröße und Dauer der Zugehörigkeit zum Betrieb. Ist es gerecht, so wird gefragt, dass ein älterer Mitarbeiter für die gleiche, manchmal schwächere Leistung Hunderte von Mark mehr bekommt als ein jüngerer, nur weil er länger dabei ist? Muss das nicht die Motivation zerstören? Eigentlich befürworten alle eine leistungsbezogene Vergütung. Bisher aber sind alle Reformen in diese Richtung gescheitert. Finanzierbar wären sie nur, wenn die Dienstaltersstufen, also die automatischen Erhöhungen der Bezüge alle zwei Jahre, und der Bewährungsaufstieg abgeschwächt würden. Die Opfer wären die weniger Leistungsstarken.

 

Sinnvolle Alternative

Die bisherige Entwicklung zeigt grundsätzlich die Zukunftsfähigkeit des "dritten Weges". Die aufgekommenen Probleme betreffen nicht ihn selbst, sondern seine Rahmenbedingungen. Es geht daher darum, ihn aus eigenen Quellen zu erneuern. Dazu müssen die Strukturen der Arbeitsrechtlichen Kommissionen und Kodas ständig überprüft werden. Caritas und Diakonie haben dazu die nötigen Schritte unternommen. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass der "dritte Weg" eine sinnvolle und praktikable, möglicherweise auch attraktive Alternative zum Tarifvertragssystem bleibt und dass die katholische Kirche an diesem Weg festhalten wird. Dazu muss aber die Glaubwürdigkeit des "dritten Weges" gewahrt werden, insbesondere durch organisatorische Distanz zum Tarifvertragswesen.

In meinen Augen ist es daher eher ein Schritt zur Überwindung denn zur Erneuerung des "dritten Weges", dass der Verband diakonischer Dienstgeber in Deutschland, ein Zusammenschluss großer Einrichtungsträger der Diakonie, der Vertreter für die Dienstgeberseite in die Arbeitsrechtliche Kommission der EKD entsendet, 1999 der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände beitrat. Im Mai erklärte der Vorsitzende des Dienstgeberverbandes, Markus Rückert, der Verband wolle - man muss jedes Wort lesen - "im Sinne der Grundzüge des ,dritten Weges' intelligente, zukunftsweisende und ausbaufähige Wege suchen, um Arbeits- und Tarifrecht im Wege des Konsenses zu setzen". 1998 hatte der Verband Grundzüge eines vom BAT losgelösten Tarifsystems vorgestellt.

 

Kalkulierte Experimente

Skeptisch war und bin ich gegenüber einem "BAT light"-Tarif, einer zeitlich verzögerten oder etwas niedrigeren Übernahme der öffentlichen Abschlüsse für die Kirche. Damit würde man den Grundsatz, der vor drei Jahrzehnten erreicht wurde, nämlich die gleiche Bezahlung der kirchlichen Mitarbeiter wie im öffentlichen Dienst, zu schnell aufgeben. Die Lage ist zudem in den einzelnen Bistümern, Kirchen und Einrichtungen so unterschiedlich, dass eine flächendeckende Entscheidung finanziell kaum zu begründen ist.

Noch skeptischer stehe ich einem eigenständigen Kirchentarif gegenüber. Er ist eine Utopie. Denn in vielen Bereichen wird immer noch mit Refinanzierungsregeln anhand des BAT gearbeitet. Ein eigener Kirchentarif würde die Verfahren außerordentlich verkomplizieren. Zukunftsträchtig scheint mir jedoch die Weiterentwicklung der Tarife in mehrere Sparten für einzelne diakonische Bereiche, etwa für die Krankenhäuser, die stationäre Arbeit, den ambulanten Bereich sowie die Verwaltung.

In Zukunft wird die ausschließliche Bindung an den BAT nicht zu halten sein, so richtig es früher war, ihn als einzige Leitwährung zu behandeln. Die Alternative ist nicht ein eigenes Tarifsystem, sondern der Anschluss an andere, im jeweiligen Bereich gültige Tarife, nicht weil sie billiger, sondern weil sie geeigneter sind. So werden die Mitarbeiter der Kölner Dombauhütte seit jeher nach dem Tarif von Bau, Steine, Erden bezahlt.

Entscheidend wird es sein, ob die Entwicklung von Öffnungsklauseln vorangeht, die zum einen kalkulierte Experimente ermöglichen und zum anderen einzelnen Einrichtungen helfen, Notlagen zu meistern, die ihre Existenz bedrohen. Dazu müssen auch die Mitarbeitervertretungsordnungen weiterentwickelt werden. Damit wurde bereits begonnen.

Eine der Grundtugenden des "dritten Weges" ist jetzt gefordert: die Partnerschaft. Beide Seiten müssen den Willen stärken, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Mut und Augenmaß sind gleichermaßen gefordert. Die Beteiligten tragen Verantwortung für über eine Million kirchlicher Beschäftigter. Es geht auch um die Glaubwürdigkeit der Kirche in der Gesellschaft. Wer das bedenkt, wird nicht zu voreiligen und radikalen Lösungen kommen.