RM-INTERVIEW / Caritas-Vizepräsident Norbert Feldhoff über
neue Wege der Tarifpolitik
Angebote für die Zukunft
In Modellprojekten erprobt der größte nicht
staatliche Arbeitgeber, stärker nach Leistung zu bezahlen und so
konkurrenzfähig zu bleiben.
RHEINISCHER MERKUR: Die Mitgliedseinrichtungen des Deutschen
Caritasverbandes bilden so etwas wie den größten nichtstaatlichen
Arbeitgeber. Sie beschäftigen fast eine halbe Million Menschen.
Was bedeuten für die Mitarbeiter die letzte Woche vereinbarten
Tarifbeschlüsse?
NORBERT FELDHOFF: Sie bedeuten mehr Sicherheit
für Arbeitsplätze. Die Tarife der Caritas lehnen sich
bisher an den Bundesangestelltentarif (BAT) an. Der braucht eine
Reform, vor allem, weil er Leistung zu wenig würdigt. Auf
Initiative einiger großer Werke der Caritas haben gemeinsame
Arbeitsgruppen von Mitarbeitern und Führungsebenen Reformvorschläge
erarbeitet. Auf dieser Grundlage brachte jetzt die Arbeitsrechtliche
Kommission des Deutschen Caritasverbandes eine Neuerung auf
den Weg: In vier Modellprojekten werden leistungsbezogene
Vergütungen erprobt. Dafür bringen Mitarbeiter fünf
Prozent der Lohnsumme ein, einen vergleichbaren Anteil steuern
Arbeitgeber bei. Zum anderen hat die Kommission eine Erklärung
verabschiedet. Der Flächentarif soll in noch zu bestimmenden
Regionen geöffnet werden, wenn die Arbeitsrechtliche Kommission
den Rahmen der Öffnung festgelegt hat. Für die Regionen
werden Unterkommissionen gebildet.
Öffnung
heißt in der Regel Öffnung nach unten. Wer muss um
sein Gehalt fürchten?
Das lässt sich noch nicht sagen. Einem
Missbrauch ist vorgebeugt, weil die Arbeitsrechtliche Kommission
den Rahmen vorgibt. Dort gilt wie in den Unterkommissionen eine
Dreiviertelmehrheit, sodass kein Beschluss gegen die Mitarbeiterseite
durchzusetzen ist. Aber in der Tat ist die Lohnsumme insgesamt
begrenzt.
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VORDENKER: Seit 1996 ist Norbert Feldhoff
stellvertretender Präsident des Deutschen Caritasverbandes.
Außerdem sitzt der Kölner Dompropst der Arbeitsrechtlichen
Kommission der Caritas vor.
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Wie
ließ sich die Arbeitnehmerseite überzeugen?
Ich bewundere es, dass die Mitarbeiterseite einem solch innovativen
Beschluss zugestimmt und die Risiken in Kauf nehmen. Die Mitarbeiter
zeigen damit die Bereitschaft, ihren Beitrag zur Zukunftsfähigkeit
des Angebots der Caritas zu leisten. Karitative Einrichtungen werden
in manchen Bereichen nur konkurrenzfähig bleiben, wenn sie sich
auf diese Weise anpassen können. Es nützt weder den Mitarbeitern
noch den mehr als eine Million Patienten, Klienten und Gästen,
wenn die Caritas ihr Angebot zurückziehen muss, weil es zu teuer
ist. Gerade in den neuen Bundesländern sind manche Einrichtungen
akut gefährdet.
Gewerkschaften
und öffentliche Arbeitgeber arbeiten, mit ähnlichen Zielen,
auch an einer Reform des BAT, des Tarifs für den öffentlichen
Dienst. Bisher hat die Caritas die dort erzielten Einigungen übernommen.
Warum jetzt die Eile?
Wir möchten Handlungsfreiheit bewahren. Der Druck in einigen Sparten
ist stark. Und wir wissen noch nicht, wann Ergebnisse des BAT vorliegen
– die unseren vermutlich ähnlich sehen werden. Auch der Vorsitzende
der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, und der Zentralrat,
das höchste Leitungsgremium der Caritas, haben zum Handeln aufgerufen
und die Bildung von Unterkommissionen empfohlen.
Kann
die Reform der Caritas auch Vorbild für die Verhandlungen im öffentlichen Dienst
sein? Wird sie Wirkungen darauf haben?
Das ist schwer zu sagen. Im Vergleich zum Goliath des öffentlichen Dienstes
sind wir ein David. Doch man beobachtet die Caritas dort mit Sicherheit.
Aus meiner Sicht spricht diese Entscheidung für eine hohe Flexibilität
des Dritten Weges. Da werden einige erstaunt hinschauen.
Ihr
evangelisches Gegenüber, die Diakonie mit etwa 450 000 Beschäftigten,
steht vor ähnlichen Problemen. Kann sie die Lösung der Caritas
übernehmen?
Die Lage bei der Diakonie ist von vornherein etwas anders. Sie hat
mehrere Arbeitsrechtliche Kommissionen. Aber ich bin sicher, dass sie
sich unsere Entscheidungen sofort ansehen und überlegen, was sie
machen. Vielleicht gibt es auf evangelischer Seite eine Bandbreite ähnlicher
Lösungen.
Wer
mehr leistet, wird künftig mehr Geld verdienen können. Wie
misst man Leistung etwa bei der Pflege? Es kann ja kaum darum gehen,
wer die meisten Menschen am schnellsten versorgt.
Leistungsbemessung ist schwer. Aber da liegt auch das eigentlich Bahnbrechende
der Beschlüsse. In den Modellprojekten werden Arbeitgeber und Arbeitnehmer
gemeinsam Kriterien zur Bewertung von Leistung erproben. Wir haben die
Blockade überwunden, die in der Ansicht – ich würde
sogar von einem Vorurteil sprechen – besteht, im sozialen
Bereich sei Leistung nicht zu messen oder zu bewerten. Nun müssen
wir gemeinsam Erfahrung sammeln. Gegeneinander ist keine Arbeit für
Menschen möglich.
Wie
wollen Sie künftig Menschen für die Arbeit bei der Caritas
gewinnen?
In vielen karitativen Einrichtungen herrscht ein gemeinsamer Geist,
der biblisch fundiert ist, auch wenn die Menschen selbst religiös
unterschiedlich engagiert sind. Eine solche gemeinsame geistliche Grundstimmung
hilft vielen Menschen, ihre Arbeit positiv zu gestalten. Das ist
attraktiv. Außerdem tut die Caritas alles, um den Menschen in
den Mittelpunkt zu stellen, den Patienten oder Klienten, dann aber auch
die Mitarbeitenden.
Welche
Wirkung hat die Tarifreform auf das Angebot? Wird die Caritas auch Billigpflege
anbieten mit wenig Leistung zu geringen Kosten?
Die Caritas ist darauf bedacht, dass motivierte Mitarbeiter sich ganzheitlich
um Menschen kümmern. Ihr Ziel bleibt, schon aus der Rückbindung
an das Evangelium, dem Menschen, der in Not ist, der krank ist, so zu
helfen, wie er es braucht. Ob er arm oder reich ist, spielt dabei keine
Rolle.
Die Fragen stellte Wolfgang Thielmann.
Kommission entscheidet
Die Caritas gestaltet ihr Arbeitsrecht nicht durch Tarifverhandlungen
einschließlich Streik und Aussperrung, sondern durch Einigungen
in einer paritätisch besetzten Kommission. Jeweils 28 Vertreter
der Mitarbeiterseite sowie der Arbeitgeberseite fassen mit Dreiviertelmehrheit
gemeinsame Beschlüsse im Blick auf Arbeitsverträge und Tarife
in den Einrichtungen des Deutschen Caritasverbandes. Diese Kommissionsmitglieder
regeln damit die Arbeitsbedingungen für 495 000 hauptamtlich
Beschäftigte aller Caritas-Einrichtungen in Deutschland.
Geschäftsstelle:
Deutscher Caritasverband, Postfach 420, 79004 Freiburg. Telefon 0761/20 02 03,
Fax 20 07 33, E-Mail ak@caritas.de
Quelle: http://www.merkur.de/aktuell/wi/geld_044401.html