Entscheidung zur urheberrechtlichen Zulässigkeit elektronischer
Pressearchive
Der für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des
Bundesgerichtshofs hatte erstmals über die Frage zu entscheiden,
ob die Verwertung urheberrechtlich geschützter Beiträge aus
Zeitungen und Zeitschriften für unternehmenseigene elektronische
Pressearchive der Zustimmung der Rechtsinhaber bedarf.
Die Beklagte erbringt für Wirtschaftsunternehmen Dienstleistungen
zum Aufbau elektronischer Pressearchive und verwertet dazu auch Beiträge
aus dem "Handelsblatt" und der "Wirtschafts-Woche", die von der Klägerin
verlegt werden. Die Beklagte geht dabei wie folgt vor: Aus Kundenexemplaren
der auszuwertenden Zeitungen oder Zeitschriften werden die von den Kunden
bereits gekennzeichneten Beiträge zunächst samt den entsprechenden
Seiten eingescannt. Danach werden sie elektronisch ausgeschnitten und
einem von den Auftraggebern vorgegebenen Archivsystem angepaßt.
Das so bearbeitete Dokument wird dem Kunden am folgenden Arbeitstag
auf einem elektronischen Datenträger zur Verfügung gestellt.
Nach Eingabe der Dokumente in die EDV-Anlage des Kunden werden die bei
der Beklagten gespeicherten Daten gelöscht.
Das Berufungsgericht hat der Unterlassungsklage unter dem Gesichtspunkt
des unlauteren Wettbewerbs stattgegeben. Die elektronische Auswertung
von Publikationen durch die Beklagte sei darauf angelegt, auch urheberrechtlich
geschützte Werke widerrechtlich zu nutzen. Die Beklagte verschaffe
sich dadurch einen ungerechtfertigten Vorsprung im Wettbewerb. Die elektronische
Archivierung von Schriftwerken setze Vervielfältigungen voraus,
die dem Urheber vorbehalten seien. Auf die Schranken des Urheberrechts,
insbesondere die Urheberrechtsfreiheit von Vervielfältigungen zur
Aufnahme in ein eigenes Archiv (§ 53 Abs. 2 Nr. 2 UrhG), könne
sich die Beklagte nicht berufen. Bei elektronischen Archiven, auf die
eine praktisch unbegrenzte Zahl von Personen mit geringem Zeitaufwand
- auch zeitgleich und aus räumlicher Distanz zugreifen könne,
würden geschützte Werke weit intensiver als bei herkömmlichen
Archiven genutzt. Dies könne bei einem Fall der vorliegenden Art
auch dazu führen, daß in den Unternehmen Mehrfachabonnements
der ausgewerteten Publikationen entbehrlich erschienen.
Der Bundesgerichtshof hat diese urheberrechtliche Beurteilung bestätigt.
Er hat jedoch die Ansicht vertreten, daß das Vorgehen gegen die
Verletzung von Urheberrechten grundsätzlich den Rechtsinhabern
vorbehalten ist und Mitbewerber deshalb aus der Verletzung fremder Rechte
im allgemeinen keine wettbewerbsrechtlichen Ansprüche herleiten
können. Da die Klage möglicherweise auch darauf gestützt
werden sollte, daß die Beklagte in urheberrechtliche Befugnisse
der Klägerin eingreife, hat der Bundesgerichtshof die Sache zur
weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Bundesgerichtshof (Urteil vom 11.12.1998 - I ZR 100/96)
(Quelle: Pressemitteilung des BGH Nr. 93/98 vom 11.12.1998)