RECHTLICHE STELLUNGNAHME zur
Regelungsmacht im kollektiv-kirchlichen Arbeitsrecht
bei Abweichungen
von zwingendem Gesetzesrecht
erstattet für den Verband der Diözesen Deutschlands
von Prof. Dr. Wilhelm Dütz
Augsburg
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I. Fragestellung
Die Regelungskompetenz der profanen Tarifvertragsparteien ist In
§ 17 Abs. 3 und 5 BetrAVG In der Fassung des Altersvermögensgesetzes
vom 26.6.2001
- BGBl, 1, 2001, 5. 1310 (1330) -
vorgesehen.
§ 17 Abs. 3 BetrAVG lautet: Von den §§ la, 2 bis
5, 16, 27 und 28 kann In Tarifverträgen abgewichen werden.
Die abweichenden Bestimmungen haben zwischen nIchttarifgebundenen
Arbeitgebern und Arbeitnehmern Geltung, wenn zwischen diesen die
Anwendung der einschlägigen tariflichen Regelung vereinbart
Ist. Im übrigen kann von den Bestimmungen dieses Gesetzes
nicht zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.
§ 17 Abs. 5 BetrAVG lautet: Soweit Entgeltansprüche
auf einem Tarifvertrag beruhen, kann für diese eine Entgeltumwandlung
nur vorgenommen werden, soweit dies durch Tarifvertrag vorgesehen
oder durch Tarifvertrag zugelassen ist.
Anders als In anderen Gesetzen (s. § 7 Abs, 4 ArbZG, §
6 Abs. 3 BeschFG, § 21a Abs. 3 ]ArbSchG) gibt es Im BetrAVG keine
entsprechende Vorschrift für das kollektive kirchliche Arbeitsrecht,
wonach die Kirchen und öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften
In Ihren Regelungen wie In Tarifverträ-gen von zwingenden gesetzlichen
Vorschriften abweichen können. Derartige besondere Kirchenklauseln
fehlen auch In anderen neueren Arbeitsgesetzen, s. etwa § 622
Abs. 4 BGB, § 4 EFZG, §§ 12 Abs. 3, 13 Abs. 4, 14 Abs.
2 S. 3 u. 4 TzBfG. Damit stellt sich die Frage, ob durch tarifentsprechende
Vorschriften des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts auch ohne derartige
Kirchenklauseln von zwingendem Gesetzesrecht abgewichen werden kann,
wenn derartige Abweichungsmöglichkeiten für Tarifverträge
vorgesehen sind, also sog. tarifdispositives Gesetzesrecht vorliegt.
II. Stellungnahme
1. Dispositivität, § 17 Abs, 3 BetrA VG
Daß in bestimmten Fällen durch Tarifvertrag von zwingendem
Gesetzesrecht abgewichen werden kann, hat zwei wesentliche Gründe.,
Einmal sieht der Gesetzgeber tarifdlspositive arbeitsgesetzliche Bestimmungen
vor im Hinblick auf die mit einem Tarifvertrag gegebene Richtigkeitsgewähr
- s. Kitffier/Zwanziger, Arbeitsrecht, Handbuch für die
Praxis, 2001, 9 16 Rdnr. 68
Des weiteren hält die höchstrichterliche Rechtsprechung
eine solche Tarifdispositivität in der Sachnähe und Gleichgewichtigkeit
der Tarifvertragspar-telen für begründet vgl. BAG AP Art.
9 GG Arbeitskampf Nr. 64
Es steht außer Frage, daß die Besonderheiten des kirchlichen
Dienstes In kircheneigenen Regelungen zutreffender geregelt werden
können als in allgemeinen gesetzlichen Vorschriften
- Thüsing, 20 Jahre Dritter Weg", Rechtsnatur und
Besonderheiten der Regelungen kirchlicher Arbeitsverhältnisse,
RdA 1997, 163 (166)
Jedenfalls nach Aufwertung der Arbeitnehmerbank von Arbeitsrechtlichen
Kommissionen des kollektiven kirchlichen Arbeitsrechts vor allem infolge
einer stärkeren persönlichen Rechtsstellung der Mitarbeiter
in diesen Kommissionen durch besonderen Kündigungsschutz und
Freistellungsansprüche (vgl. z. B. §§ 6, 7 Zentral-KODA-Ordnung,
§§ 8, 10 Bay. RKO) sowie durch Einräumung von Schulungs-
und Beratungshilfe für die Mitarbeiterseite (s. etwa § 18
Zentral-KODA-Ordnung, § 9 Bay. RKO) kann nicht mehr bestritten
werden, daß im kirchlichen Arbeitsrechtsregelungsverfahren Arbeitsbedingungen
zustande kommen, die von einer paritätisch besetzten Kommission
ausgehandelt werden, bei der also die Arbeitnehmerseite Im wesentlichen
gleichgewichtig mitwirkt
Thüsing, RdA 1997, 169; Richardi, Arbeitsrechtsregelungsrecht
der Kirchen, in Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, hrsg.
v. Richardi/Wlotzke, Bd. 2, 2. Aufl., 2000, § 195 Rdnr. 41;
Gehring, In: BGB-RGRK, 12, Aufl., 1997, § 630 Anh. 111 Rdnr.
171 -.
Diese Durchsetzungsfähigkeit der Arbeitnehmerseite der Arbeitsrechtlichen
Kommissionen wird inzwischen auch von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung anerkannt
- s. BAG EzA § 611 BGB Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 44 mit
zust. Anm. von Dütz
Dies gilt ferner Im Hinblick auf ein etwaiges bischöfliches
Letztentscheidungsrecht, weil insoweit selbst nach Kirchenrecht (s.
c. 231 § 2 CIC) und kirchlichem Selbstverständnis keine
einseitige Entscheidung des kirchlichen Dienstgebers In Frage steht,
sondern eine ausgewogene Schlichtung unter Berücksichtigung sowohl
gesamtkirchlicher Interessen als auch der Mitarbeiterbelange
- vgl. BAG a.a.0. mit zust. Anm, von Dütz; Thüsing,
RdA 1997, 169
Dann gebieten aber sowohl die grundgesetzliche Garantie des kirchlichen
Selbstbestimmungsrechts nach Art. 140 GG / Art. 137 Abs. 3 WRV als
auch ergänzend der allgemeine Gleichheitssatz nach Art. 3 GG
die Gleichstellung von kollektiven kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen
mit Tarifverträgen Im Hinblick auf eine Abweichungsmöglichkeit
von prinzipiell zwingendem Recht
- Richardi, a.a.O., § 195 Rdnr. 41; ThüsIng, RdA 1997,
169 f.; Pahlke, Anm. zu ArbG Berlin und LAG Berlin, AP Art. 140
GG Nr. 19; Gehring, a.a.O., Rdnr. 171; a. A. noch Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch,
9. Aufl., 2000, § 31 Rdnr. 19 mit fehlerhaftem Hinweis auf
die Insoweit unergiebige Entscheidung des BAG AP § 72a ArbGG
1979 Nr. 9 und ohne sonstige Begr.; krit. wohl auch Kempen/Zachert,
Tarifvertragsgesetz, 3. Aufl., 1997, Grundlagen Pdnr. 145 -.
Das gilt um so mehr, als der Gesetzgeber bei der Abfassung ausdrücklicher
diesbezüglicher Kirchenklauseln deutlich herausgestellt hat,
daß damit dem verfassungsmäßig garantierten kirchlichen
Selbstbestimmungsrecht gem. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV
sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
und des Bundesarbeitsgerichts entsprochen wird
Gehring, a.a,O., mit näheren Nachw.
Demgemäß ist konkretisierend auch § 17 Abs. 3 BetrAVG
auf tarifentsprechende kollektive kirchliche Arbeitsrechtsregelungen
anzuwenden. Folglich kann der gesetzliche Anspruch auf Entgeltumwandlung
(§ la BetrAVG) auch durch KODA-Regelungen modifiziert werden.
2. Sperrwirkung, § 17 Abs. 5 BetrAVG
Gem. § 17 Abs. 5 BetrAVG kann eine Entgeltumwandlung für
Entgeltansprüche, die auf Tarifvertrag beruhen, nur vorgenommen
werden, soweit dies durch Tarifvertrag vorgesehen oder durch Tarifvertrag
zugelassen Ist. Damit kommt der Vorschrift des § 17 Abs. 5 BetrAVG
eine verhindernde Sperrwirkurig zu. Ohne diesbezügliche tarifliche
Regelung oder tarifliche Öffnungsklausel ist eine Umwandlungsvereinbarung
über tariflich begründetes Entgelt also unwirksam. Möglich
bleiben auch ohne entsprechende tarifliche Klauseln Umwandlungsvereinbarungen
zu übertariflichen Entgelten und außertariflichen Sonderzahlungen.
Wegen der Funktionsparallelität von Tarifvertrag und KODA-Regelung
vor dem Hintergrund des verfassungsmäßig gewährleisteten
kirchlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG / Art. 137 Abs. 3
WRV) - s. 0. zu 11. 1. - ist § 17 Abs. 5 BetrAVG gleichermaßen
auf kirchliche kollektive Arbeitsrechtsregelungen zu erstrecken.
Allerdings kommt den KODA-Regelungen anders als den Tarifverträgen
In der Regel nicht die Bedeutung von Mindestvergütungen zu. Das
Ist jedoch auch Im Bereich des profanen öffentlichen Dienstes
so, ohne daß deswegen eine Einschränkung des Tarifrechts
erfolgte. Ferner gibt es auch Im kirchli-chen Bereich einrichtungsspezifische
Sondervergütungen, die nicht auf KODA-Regelungen, sondern auf
arbeitsvertraglicher Grundlage beruhen. Besonderheiten des kirchlichen
Dienstes sprechen demnach nicht gegen eine Übertragung von §
17 Abs. 5 BetrAVG auf kirchliche arbeitsrechtliche Kollektivregelungen.
Vielmehr legen es die anderen Parallelitäten Im Verhältnis
von Tarifverträgen und KODA-Regelungen, also zur Tarifdispositität
- s. 0. 11. 1. -,
und zur eingeschränkten arbeltsgerichtlichen Kontrolle
- dazu BAG EzA § 611 DGB Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 44
mit 2ust. Anm. von Dütz -
sowie auch die zunehmende Befürwortung einer normativen Wirkung
kirchlicher Kollektivregelungen bis hin zu herrschenden Meinung
- vgl. Dütz, a.a.O., mit weit. Nachw. -
nachdrücklich nahe, die Regelung zur Sperrwirkung von §
17 Abs. 5 BetrAVG auch auf KODA-Vorschriften zu erstrecken.
Allenfalls wird man aus der Sicht der noch praktizierten Rechtsprechung,
die entgegen der Inzwischen herrschenden Meinung eine Normwirkung
kirchlicher Kollektivregelungen ablehnt und ihnen nur den Charakter
von allgemeinen Arbeitsbedingungen mit lediglich schuldrechtlicher
Wirkung beimisst
- s. BAG a.a.0. mit Nachw. -;
sagen können, daß neben einer regionalen KODA-Regelung
noch ergänzende bzw. abändernde arbeitsvertragliche Vereinbarungen
zwischen den Arbeitsvertragspartelen In einer einzelnen Einrichtung
möglich bleiben, Dann ist die Rechtslage wie In dem Fall, daß
gern. § 17 Abs. 3 S. 2 BetrAVG zwischen nichttarifgebundenen
Parteien arbeitsvertraglich auf tarifliche Bestimmungen Bezug genommen
wird; auch solchen arbeitsvertraglichen Bezugnahmen kommt nur schuldrechtliche
Bedeutung zu, so daß die Arbeitsvertragspartelen wieder von
der Bezugnahmeregelung des Arbeitsvertrages abweichen können.
Das berührt aber nicht die generelle Kompetenz der Arbeitsrechtlichen
Kommissionen, prinzipiell kirchliche Kollektivregelungen zur Entgeltumwandlung
i.S.v. § 17 Abs. 5 BetrAVG treffen zu können, mögen
sie auch gegebenenfalls in der einzelnen Einrichtung arbeitsvertraglich
wieder abzuändern sein.
III. Kirchliche Einrichtungen
Anerkannt ist, daß das kirchliche Selbstbestimmungsrecht und
damit das kollektive kirchliche Arbeitsrecht nicht nur für die
verfaßte Kirche selbst,sondern auch für die Ihr In spezifischer
Weise zugeordneten Einrichtungen, insbesondere die caritativ-diakonischen
Stellen eingreift. Denn die Art und Weise der Organisation zur Erfüllung
Ihrer Aufgaben einschließlich des kircheneigenen Dienstes steht
der Kirche selbst zu. Ferner sind auch insoweit kirchengesetzlich
vorgesehene Arbeitsrechtsregelungsverfahren maßgebend
- vgl. BAG AP § 2 BeschFG 1985 Nr. 12; Jurina, Die Subsidiartät
arbeitsrechtlicher Gesetze gegenüber kircheneigenen Regelungen,
NZA 1986, Beil, 1, S. 15, 17 f.; Richardi, a.a.O., § 195
Rdnr. 40; s. auch BT-Drucks. 12/5886, S, 28 zu § 7 Abs, 4
ArbZG -,
Demgemäß gelten die kirchenspezifischen Regelungsmöglichkeiten
i.S.v. § 17 Abs. 3 u. 5 BetrAVG auch für selbständige
Einrichtungen, die der verfaßten Kirche In spezifischer Weise
zugeordnet sind.
IV. Ergebnis
Aufgrund des verfassungsmäßig gewährleisteten kirchlichen
Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG / Art. 137 Abs. 3 WRV) sind gesetzliche
Vorschriften zur Tarifdispositivität auch ohne ausdrückliche
Kirchenklauseln auf kollektive kirchliche Arbeitsrechtsregelungen
zu erstrecken. Das gilt auch für § 17 Abs. 3 BetrAVG. Entsprechendes
ist im Hinblick auf die Funktionsparallelität von Tarifvertrag
und kollektiven kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen für die Sperrwirkungsvorschrift
des § 17 Abs. 5 BetrAVG anzunehmen. Das Ist maßgebend nicht
nur für die verfaßte Kirche selbst, sondern desgleichen
für die der Kirche spezifisch zugeordneten, insbesondere caritariv-diakonischen
Einrichtungen.
Augsburg, den 18. Oktober 2001
(Prof. Dr. Wilhelm Dütz)
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