Das kirchliche Arbeitsrecht ist ein Teilgebiet des staatlichen Arbeitsrechts
und des Kirchenrechts. Hier fließen die verfassungsmäßigen
Rechte der Kirchen, deren Rechtsvorschriften und organisatorische Struktur,
das Leitbild der Dienstgemeinschaft und die historische Entwicklung
zusammen.
1. Verfassungsrechtliche Grundlagen
2. Die Dienstgemeinschaft
3. Die Grundordnung
4. Der Dritte Weg
5. Die Mitarbeitervertretungsordnung
1. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Staatskirchenrechtliche Grundlage für die eigenständige Gestaltung
des Arbeitsrechts der Kirchen bildet Artikel 140 Grundgesetz, der in
diesem Zusammenhang auf Artikel 137 Absatz 3 Satz 1 der Weimarer Reichsverfassung
verweist. Danach ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft ihre
Angelegenheiten selbstständig innerhalb der Schranken der für
alle geltenden Gesetze. Dieses verfassungsrechtliche Selbstbestimmungsrecht
schafft den Kirchen gegenüber dem Staat einen unantastbaren Freiheitsbereich,
der das Recht gewährt, die eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln.
Dies umfaßt auch die Gestaltung der Arbeitsverhältnisse der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im kirchlichen Dienst (Individualarbeitsrecht)
und die Beteiligungsrechte der Mitarbeiterschaft in Belangen der Einrichtung
(Kollektives Arbeitsrecht). Insbesondere haben die Kirchen das Recht,
das Arbeitsrecht nach ihren spezifischen Vorstellungen, also auf der
Grundlage ihres Selbstverständnisses, ordnen zu können. Dazu
gehört beispielsweise, daß sie dem kirchlichen Dienst das
besondere Leitbild einer christlichen Dienstgemeinschaft zugrunde legen.
2. Die Dienstgemeinschaft
Im kirchlichen Arbeitsrecht wird von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
statt von Angestellten oder Arbeitern, von Dienstgebern statt von Arbeitgebern
und von einem Dienstverhältnis statt von einem Arbeitsverhältnis
gesprochen. Damit kommt sprachlich der spezifische Charakter kirchlicher
Arbeitsverhältnisse zum Ausdruck. Arbeit im caritativen Dienst
der katholischen Kirche ist das Mitwirken an ihrer Sendung durch Jesus
Christus, ist Religionsausübung. Denn zu den Grundaufgaben aller
Christen gehört neben der Verkündigung des Glaubens und der
Feier der Gottesdienste die Ausübung der Nächstenliebe.
Diese religiöse Dimension des kirchlichen Dienstes bestimmt
die arbeitsrechtlichen Beziehungen in den caritativen Einrichtungen.
Aus der gemeinsamen Verantwortung aller Gläubigen für den
Auftrag der Kirche ergibt sich die gemeinsame Verantwortung von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern und Dienstgebern für und in caritativen Einrichtungen.
Die Beteiligten sind in gleicher Weise der religiösen Grundlage
und Zielrichtung verpflichtet, weil sie als Mitglieder der Kirche an
ihrer Sendung in gleicher Weise teilnehmen. Dies wird mit der Bezeichnung
der Dienstgemeinschaft charakterisiert.
Eine solche Dienstgemeinschaft schließt das Bestehen unterschiedlicher
Interessen bei der Gestaltung der arbeitsrechtlichen Beziehungen nicht
aus. Mitarbeiter- und Dienstgeberseite sind aber verpflichtet, die religiöse
Dimension in ihrem Handeln zu berücksichtigen und Wege der Einigung
zu suchen. Dies stellt einen hohen Anspruch dar, der sich in der Praxis
immer wieder bewähren muss.
Die AVR haben das Wesen der Arbeit in caritativen Einrichtungen in
ihrem § 1 Allgemeiner Teil wie folgt zusammengefaßt:
"Die Caritas ist eine Lebens- und Wesensäußerung der katholischen
Kirche. Die dem Deutschen Caritasverband angeschlossenen Einrichtungen
dienen dem gemeinsamen Werk christlicher Nächstenliebe. Dienstgeber
und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bilden eine Dienstgemeinschaft
und tragen gemeinsam zur Erfüllung der Aufgaben der Einrichtung
bei. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben den ihnen anvertrauten
Dienst in Treue und in Erfüllung der allgemeinen und besonderen
Dienstpflichten zu leisten. Der Treue des Mitarbeiters muss von Seiten
des Dienstgebers die Treue und Fürsorge gegenüber dem Mitarbeiter
entsprechen. Auf dieser Grundlage regeln sich alle Beziehungen zwischen
Dienstgeber und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern."
3. Die Grundordnung
Abgeleitet aus dem verfassungsrechtlichen Selbstbestimmungsrecht
der Kirchen haben die katholischen Bischöfe in der Bundesrepublik
Deutschland eine Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher
Arbeitsverhältnisse verabschiedet, die seit 1. Januar 1994 in Kraft
ist.
Diese Grundordnung stellt für alle caritativen Einrichtungen
verbindliches Kirchenrecht dar. Die Zuordnung einer caritativen Einrichtung
zur Kirche beruht auch auf der Anwendung der Grundordnung.
Nach Artikel 1 Grundordnung bildet das Leitbild der christlichen Dienstgemeinschaft
die Grundlage aller Dienstverhältnisse in kirchlichen Einrichtungen.
Die Grundordnung wendet sich zunächst an die Träger
und Leitungen der Einrichtungen und betont ihre Verantwortung für
den kirchlichen Charakter. Dies ist auch bei der Einstellung von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern zu berücksichtigen (Artikel 3 Grundordnung). Diese
müssen die Eigenart des kirchlichen Dienstes bejahen.
Dabei geht die Grundordnung von unterschiedlichen Loyalitätsverpflichtungen
ausgeht, je nachdem, ob es sich um katholische, andere christliche oder
nichtchristliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter handelt (Artikel 4
und 5 Grundordnung). Bei Verstößen gegen diese Loyalitätsobliegenheiten
sieht die Grundordnung differenzierte Reaktionen des Dienstgebers vor.
Außerdem erkennt die Grundordnung die Vereinigungsfreiheit
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im kirchlichen Dienst an (Artikel
6 Grundordnung). Der Grundsatz der Gestaltung der Arbeitsbedingungen
durch paritätisch besetzte Kommissionen bildet die Grundlage für
die Arbeitsrechtliche Kommission des Deutschen Caritasverbandes (Artikel
7 Grundordnung). Die Anwendung der Mitarbeitervertretungsordnung als
kirchliche Betriebsverfassung schreibt Artikel 8 Grundordnung vor. Außerdem
enthält die Grundordnung den Anspruch der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter auf Fort- und Weiterbildung (Artikel 9 Grundordnung) und
auf gerichtlichen Rechtsschutz (Artikel 10 Grundordnung).
4. Der Dritte Weg
Um bei der Gestaltung des kirchlichen Arbeitsrechts einen Interessensausgleich
zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und den Dienstgebern
sicherzustellen und gleichzeitig die religiöse Dimension des kirchlichen
Dienstes zu berücksichtigen, hat sich die katholische Kirche für
den sogenannten Dritten Weg entschieden.
Danach werden die Arbeitsbedingungen für die einzelnen Dienstverhältnisse
durch paritätisch besetzte Kommissionen nach kircheneigenen Ordnungen
festgelegt. Für den Caritasbereich ist dies die Arbeitsrechtliche
Kommission des Deutschen Caritasverbandes. Sie ist paritätisch
mit Vertreterinnen und Vertretern der Mitarbeiter- und der Dienstgeberseite
besetzt und beschließt das Arbeitsvertragsrecht in den caritativen
Einrichtungen.
Der Dritte Weg geht von den Grundsätzen eines partnerschaftlichen
und kooperativen Miteinanders von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
und von Dienstgebern, einer gleichberechtigten und gleichgewichtigen
Vertretung jeder Seite im Sinne einer Parität, einer fairen und
verantwortlichen Konfliktlösung ohne Arbeitskampf und des im kirchlichen
Recht verankerten Prinzips der Lohngerechtigkeit aus.
Er erfolgt in Abgrenzung zu einem denkbaren ersten Weg, in dem der
Inhalt der Dienstverhältnisse einseitig durch Leitungsorgane festgelegt
wird. Die Kirche schließt aber auch die Gestaltung der Dienstverhältnisse
auf einem zweiten Weg durch den Abschluß von Tarifverträgen
aus. Im kirchlichen Dienst bestehen keine widerstreitenden Interessen
von Kapital und Arbeit. Arbeitskämpfe mit der Möglichkeit
von Streiks und Aussperrungen als Funktionsvoraussetzungen des Tarifvertragssystems
sind mit dem Wesen des kirchlichen Dienstes, der gemeinsamen Verantwortung
für den Auftrag der Kirche, nicht zu vereinbaren.
5. Die Mitarbeitervertretungsordnung
Grundsätze
Zu der Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts
gehört auch die Entscheidung der Kirche, in welcher Weise die kirchlichen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Angelegenheiten der Einrichtung,
die ihre Interessen berühren, mitwirken und mitbestimmen. Deshalb
gelten für die Kirchen und damit auch für die caritativen
Einrichtungen weder das Betriebsverfassungsgesetz noch die Personalvertretungsgesetze
des Bundes und der Länder. Paragraph 118 Absatz 2 Betriebsverfassungsgesetz
und Paragraph 112 Bundespersonalvertretungsgesetz und die entsprechenden
Personalvertretungsgesetze der Länder nehmen die Religionsgemeinschaften
und ihre caritativen Einrichtungen ohne Rücksicht auf deren Rechtsform
ausdrücklich von der Anwendung dieser Gesetze aus.
Die Beteiligung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den caritativen
Einrichtungen richtet sich nach der Mitarbeitervertretungsordnung (MAVO).
Diese MAVO wird zunächst als Rahmenordnung für ein einheitliches
Mitbestimmungsrecht von den deutschen Bischöfen verabschiedet;
die derzeit gültige Fassung beruht auf einen grundlegenden Beschluß
vom 20. November 1995, modifiziert durch Beschluß vom 21. Juni
1999. Auf dieser Grundlage wird die Rahmenordnung mit geringen Änderungen
dann in allen Bistümern der Bundesrepublik Deutschland durch den
jeweiligen Bischof als kirchlichem Gesetzgeber in Kraft gesetzt . Diese
jeweilige MAVO des Bistums ist kirchenrechtlich verbindlich und stellt
das kirchliche Mitbestimmungsrecht für die kirchlichen und caritativen
Einrichtungen eines Bistums dar.
Die Mitarbeitervertretung
Nach der MAVO ist in jeder Einrichtung vom Träger und den Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern sicherzustellen, daß eine Mitarbeitervertretung
gebildet wird (Paragraph 1a MAVO), soweit die Voraussetzungen dafür
vorliegen (Paragraphen 6 ff MAVO). Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
sind jedenfalls alle Personen, die bei einem Dienstgeber (Paragraph
2 MAVO) auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses tätig
sind (Paragraph 3 MAVO).
Die Durchführung der Wahl zur Mitarbeitervertretung richtet
sich nach den Bestimmungen der Paragraphen 9 bis 11 MAVO. Stellung und
Organisation der Mitarbeitervertretung sind in den Paragraphen 13 bis
20 MAVO geregelt. Mindestens einmal im Jahr findet eine Mitarbeiterversammlung
aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Einrichtung statt (Paragraphen
4, 21, 22 MAVO). Für spezielle Mitarbeitergruppen enthält
die MAVO besondere Bestimmungen zur Sicherung ihrer Interessensvertretung.
Die Beteiligungsrechte
Kernstück der Ordnung sind die Aufgaben und Rechte der Mitarbeitervertretung
gemäß den Paragraphen 26 bis 38 MAVO. Im Hinblick auf die
religiöse Dimension des kirchlichen Dienstes sind Dienstgeber und
Mitarbeitervertretung verpflichtet, im Rahmen der Aufgaben einer Einrichtung
vertrauensvoll und partnerschaftlich zusammenzuarbeiten (Paragraph 26
MAVO). Sie sollen sich über alle Angelegenheiten der Dienstgemeinschaft
gegenseitig informieren (Paragraph 27 MAVO) und halten dazu mindestens
einmal jährlich eine gemeinsame Sitzung ab (Paragraph 39 MAVO).
Die Beteiligungsrechte der Mitarbeitervertretung gliedern
sich, je nach Regelungsgegenstand, in das Recht der Anhörung und
Mitberatung bei allgemeinen personellen Angelegenheiten (Paragraph 29
MAVO) sowie bei der ordentlichen (Paragraph 30 MAVO) und der außerordentlichen
(Paragraph 31 MAVO) Kündigung nach Ablauf der Probezeit, in ein
Vorschlagsrecht bei allgemeinen personellen Angelegenheiten (Paragraph
32 MAVO), einem Zustimmungsrecht bei der Einstellung von Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern (Paragraph 34 MAVO), bei persönlichen Angelegenheiten
einzelner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Paragraph 35 MAVO) sowie
bei organisatorischen und sozialen Angelegenheiten der Einrichtung (Paragraph
36 MAVO), und einem Antragsrecht der Mitarbeitervertretung (Paragraph
37 MAVO) in organisatorischen und sozialen Angelegenheiten. Außerdem
können Einrichtungsleitung und Mitarbeitervertretung gemäß
Paragraph 38 MAVO Dienstvereinbarungen abschließen, die unmittelbar
und zwingend auf die einzelnen Dienstverhältnisse in der Einrichtung
einwirken.
Das Streitverfahren
In Streitfällen findet eine Schlichtung als kirchliches Gerichtsverfahren
statt. Eine Anrufung staatlicher Arbeitsgerichte ist im Bereich der
MAVO nicht möglich, da es sich bei der Ordnung um innerkirchliches
Recht handelt und die kirchlichen Schlichtungsstellen rechtsstaatlichen
Anforderungen genügen.