Dienstvereinbarungen zwischen Dienstgeber und Mitarbeitervertretung
aufgrund von Öffnungsklauseln, wie sie die Neuregelung zu §
38 MAVO vorsieht, werfen viele komplizierte rechtliche Fragestellungen
auf, insbesondere wenn durch solche Dienstvereinbarungen Vergütungsbestandteile
auf betrieblicher Ebene geregelt werden sollen, wie z. B. die Härtefallregelung
der AVR-Caritas. Mit den rechtlichen Fragestellungen müssen sich
vor allem Vertreter und Vertreterinnen in der Arbeitsrechtlichen Kommissionen
und in den KODAen befassen, bevor sie Öffnungsklauseln beschließen,
sowie Mitarbeitervertretungen und Dienstgeber, bevor sie Dienstvereinbarungen
aufgrund von Öffnungsklauseln abschließen.
Der folgende Beitrag behandelt die Rechtsfragen von Dienstvereinbarungen
aufgrund von Öffnungsklauseln, insbesondere im Hinblick auf die
Neuregelung der MAVO. Da Öffnungsklauseln häufig die Möglichkeit
eröffnen sollen, über Dienstvereinbarungen Leistungen an die
Mitarbeiter einzuschränken, ist die genaue Kenntnis der rechtlichen
Bedeutung und Folgen solcher Dienstvereinbarungen unverzichtbar.
Die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands hat
am 21.6.1999 eine Änderung der §§ 36 bis 38 der Rahmen-MAVO
beschlossen, die in den einzelnen Bistümern zum Teil bereits umgesetzt
ist. Anlass für die Änderung des § 38 MAVO waren einige
Öffnungsklauseln zugunsten Dienstvereinbarungen enthaltende Regelungen
der AVR-Caritas (z. B. "Öffnungsklausel für Notsituationen",
Abschnitt XVI Anlage 1 AVR-Caritas). Der Beitrag will die Änderungen
aus Mitarbeitersicht bewerten und auch untersuchen, ob damit eine hinreichende
Rechtsgrundlage für Dienstvereinbarungen aufgrund diverser Öffnungsklauseln,
insbesondere in den AVR-Caritas, geschaffen ist.
I. Änderung der §§ 36, 37 MAVO
Neuer Begriff: Rechtsnormen
Änderung der § 36 und 37 MAVO, jeweils Absatz 1, Satz 1:
Die alte Formulierung sah die Mitbestimmung der MAV vor, "soweit nicht
eine kirchliche Arbeitsvertragsordnung oder sonstige kirchliche gesetzliche
Regelung Anwendung findet".
Die neue Formulierung lautet: "soweit nicht eine kirchliche Arbeitsvertragsordnung
oder sonstige Rechtsnorm Anwendung findet".
Rechtsnormen im Sinne des staatlichen Zivilrechts sind das Grundgesetz,
EG-Recht, staatliche Gesetze im eigentlichen Sinne, staatliche Rechtsverordnungen,
die auf gesetzlicher Grundlage erlassen sind, aber auch Regelungen,
die von anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften (beispielsweise
Berufsgenossenschaften) oder den Kirchen im Rahmen ihrer Zuständigkeit
erlassen sind.1 Damit sind die vom Bischof in Kraft gesetzten Arbeitsvertragsordnungen,
die MAVO und andere vom Bischof in der für kirchliche Gesetze vorgesehenen
Art und Weise in Kraft gesetzten Regelungen genauso Rechtsnormen im
Sinne des weltlichen Privatrechts wie es staatliche Gesetze (beispielsweise
zum Arbeitsschutzrecht) sind.
Neu ist, dass auch staatliche Rechtsnormen (also nicht etwas, was lediglich
die Qualität einer Verwaltungsrichtlinie hat) die Mitbestimmung
der MAV einschränken. Dies ist keine Verschlechterung gegenüber
dem bisherigen Rechtszustand. Wenn ein Dienstgeber in einem Regelungssachverhalt,
der unter die Tatbestände der §§ 36 oder 37 MAVO fällt,
aufgrund zwingenden staatlichen Rechts keine eigene Entscheidungsmöglichkeit
hat, sondern entsprechend dem Gesetz zu verfahren hat, gab und gibt
es keine Mitbestimmung. Wenn jedoch staatliche Rechtsnormen eine Beteiligung
des Betriebsrats oder der MAV ausdrücklich vorsehen, beispielsweise
im Arbeitsschutzgesetz, ist die MAV selbstverständlich zu beteiligen,
soweit Tatbestände der §§ 36, 37, jeweils Absatz 1, MAVO
berührt sind.
Auch in den Vorschriften der §§ 36, 37, 38, jeweils Absatz
1 Nr. 8, MAVO wurde die Formulierung "soweit nicht durch Rechtsvorschriften
oder durch Ausbildungsvertrag geregelt" durch die Formulierung "soweit
nicht durch Rechtsnormen oder durch Ausbildungsvertrag geregelt" ersetzt.
Da unter den Begriff "Rechtsvorschriften" auch Regelungen fallen, die
nicht die Qualität als Rechtsnorm besitzen, ist dies eine Stärkung
der Beteiligung der MAV bei Durchführung der "betrieblichen" Ausbildung,
da sie nunmehr lediglich durch den Inhalt des Ausbildungsvertrages und
Vorschriften mit Rechtsnormqualität (z. B. Berufsbildungsgesetz
- BBiG), bischöfliche Aus- und Fortbildungsverordnungen, soweit
sie in der für kirchliche Gesetze vorgesehenen Art und Weise in
Kraft gesetzt sind, beschränkt wird.
II. Änderung des § 38 MAVO
1. Anlehnung an das Betriebsverfassungsgesetz
Im Übrigen bleibt § 38 Absatz 1 MAVO unverändert und
stellt nach wie vor eine abschließende Aufzählung der Tatbestände,
in denen eine Dienstvereinbarung zulässig ist, dar. § 38 Absatz
2 in der neuen Fassung schafft die Grundlage in der MAVO, die in Arbeitsvertragsordnungen,
z. B. den AVR-Caritas, enthaltenen Öffnungsklauseln umzusetzen.
Insoweit nimmt die MAVO für die Dienstvereinbarung erstmals einen
Regelungsgedanken aus dem Betriebsverfassungsrecht auf.
2. Dienstvereinbarungen aufgrund von Öffnungsklauseln
§ 38 Absatz 2 MAVO (neu) lautet: "Dienstvereinbarungen können
Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die in Rechtsnormen,
insbesondere in kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen, geregelt sind
oder üblicherweise geregelt werden, zum Gegenstand haben, wenn
eine Rechtsnorm den Abschluss ergänzender Dienstvereinbarungen
ausdrücklich zulässt.
Eine ähnliche Regelung ist aus dem Betriebsverfassungsgesetz als
so genannter Tarifvorbehalt (§ 77 Absatz 3 BetrVG) bekannt. Zum
Vergleich dessen Wortlaut: "Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen,
die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt
werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein.
Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender
Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.
Unter den "sonstigen Arbeitsbedingungen", die in Arbeitsvertragsordnungen
bzw. Tarifverträgen geregelt sein können, sind beispielsweise
Dauer und Lage der täglichen Arbeitszeit, Urlaub und Urlaubsgewährung,
Regelungen über Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Vergütung
und anderes mehr zu verstehen. Mit der Formulierung "üblicherweise
geregelt werden" wird im Anwendungsbereich von Tarifverträgen darauf
abgestellt, ob dieser Sachverhalt bereits einmal tariflich geregelt
war oder ist und davon auszugehen ist, dass die Tarifvertragsparteien
nach Ablauf des Tarifvertrages diesen Sachverhalt erneut regeln wollen.
Wenn dem so ist, können dieselben Sachverhalte nur dann auf betrieblicher
Ebene durch Betriebsvereinbarung geregelt werden, wenn der Tarifvertrag
dies ausdrücklich zulässt. Dieses Verständnis kann noch
Auffassung des Verfassers auch auf § 38 Absatz 2 MAVO übertragen
werden, ist allerdings sicherlich wesentlich weniger praxisrelevant,
da die kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen im Gegensatz zu vielen tarifvertraglichen
Regelungen selten für eine bestimmte Laufzeit, sondern in der Regel
unbefristet abgeschlossen werden.
Gravierend ist der Unterschied zwischen MAVO und Betriebsverfassungsgesetz
im Hinblick auf die Vorbehaltsklausel. Während nach Betriebsverfassungsgesetz
ausschließlich im Tarifvertrag selbst eine Öffnungsklausel
zugunsten Betriebsvereinbarungen enthalten sein kann, kann nach §
38 Abs. 2 MAVO "eine Rechtsnorm" den Abschluss ergänzender Dienstvereinbarungen
zulassen.
Trotz deutlicher Kritik der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen
in ihrer Stellungnahme zum Entwurf ist diese nachteilige Abweichung
gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz nicht beseitigt worden.
2.1 Öffnungsklauseln in staatlichen Gesetzen?
Nach der Formulierung (zum Begriff der Rechtsnorm siehe oben) könnte
auch eine staatliche Rechtsnorm eine Öffnungsklausel zugunsten
verschlechternder Dienstvereinbarungen schaffen; allerdings ist dieses
Risiko in unserem Gesellschaftssystem vernachlässigbar, da staatlicherseits
im Bereich Entgelt und sonstige geldwerte Arbeitsbedingungen (z. B.
Urlaub, Lohnfortzahlung bei Krankheit) allenfalls Mindestarbeitsbedingungen
festgelegt werden.
2.2 Öffnungsklauseln in bischöflichen Gesetzen?
Öffnungsklauseln können nach dem Wortlaut der Formulierung
("... eine Rechtsnorm , nicht die bzw. dieselbe Rechtsnorm) nicht nur
durch die Rechtsnorm, die die Vergütungsregelung enthält,
zugelassen werden. Grundsätzlich ermöglicht diese Formulierung,
dass z. B. in einer bischöflichen "Notstandsverordnung" Öffnungsklauseln
geschaffen werden, um durch Dienstvereinbarung Vergütungsabsenkungen
oder Reduzierungen des Beschäftigungsumfangs zu erreichen, wenn
in einer Kommission im Sinne des Art. 7 Grundordnung die Mitarbeiterseite
nicht zu einer entsprechenden Öffnungsklausel bereit ist.
Allerdings wird eine solche nicht von der KODA oder der Arbeitsrechtlichen
Kommission beschlossene Öffnungsklausel zugunsten vergütungsabsenkender
Dienstvereinbarungen über die arbeitsvertragliche Einbeziehungsklausel
gemäß dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 1 7.4.1996
- 10 AZR 558/95 - nicht Vertragsbestandteil; die Geltung einer solchen
Notstandsverordnung müsste vielmehr mit jedem Mitarbeiter einzeln
vereinbart oder im Wege einer Änderungskündigung gegenüber
ihm durchgesetzt werden. Ist die durch Öffnungsklausel eine verschlechternde
Dienstvereinbarung ermöglichende Rechtsnorm nicht Vertragsbestandteil
des Arbeitsvertrages, kann der Mitarbeiter unter Berufung auf das "Günstigkeitsprinzip"
seine gegenüber der verschlechternden Dienstvereinbarung bessere,
vertraglich vereinbarte Vergütung bzw. Beibehaltung des bisherigen
Beschäftigungsumfangs verlangen. Da solche Regelungen (wie z. B.
Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 als Gegenleistung für die Stundung
oder Herabsetzung der Vergütung eine Arbeitsplatzgarantie, zumindest
aber eine Einschränkung der Möglichkeit des Dienstgebers zur
betriebsbedingten Kündigung, enthalten, ist wichtig, was im Rahmen
eines Günstigkeitsvergleichs miteinander verglichen werden darf,
um festzustellen, ob Dienstvereinbarung oder der Individualarbeitsvertrag
günstiger ist. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet in ständiger
Rechtsprechung), dass § 4 Absatz 3 Tarifvertragsgesetz es nicht
zulasse, dass Tarifbestimmungen über die Höhe des Arbeitsentgelts
und über die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit mit
einer betrieblichen Arbeitsplatzgarantie verglichen werden. Kirchliche
Arbeitsvertragsordnungen enthalten genauso wie Tarifverträge Mindestarbeitsbedingungen,
von denen grundsätzlich nur zugunsten des Mitarbeiters abgewichen
werden kann. Ist eine eine verschlechternde Dienstvereinbarung ermöglichende
Rechtsnorm nicht zum Vertragsbestandteil des Arbeitsvertrages des Mitarbeiters
geworden, gilt die oben dargestellte Aussage des Bundesarbeitsgerichts
auch im Verhältnis Dienstvereinbarung zum Einzelarbeitsvertrag
des Mitarbeiters. Da die Kündigungserschwerung nicht in den Günstigkeitsvergleich
mit der Absenkung von Vergütung und Arbeitszeit oder Stundung von
Vergütungsbestandteilen einbezogen werden kann, behält der
Mitarbeiter seinen vollen Vergütungsanspruch.
2.3 Grenzen des Tarifvorbehalts
Abgesehen von dieser Überlegung bestehen unbeschadet der uneingeschränkten
Gesetzgebungskompetenz des (Erz-) Bischofs erhebliche Zweifel, ob eine
an der KODA / Arbeitsrechtlichen Kommission vorbei erlassene bischöfliche
Notstandsverordnung eine wirksame Öffnungsklausel zur Absenkung
der Vergütung oder Vergütungsbestandteilen bzw. Reduzierung
des Beschäftigungsumfangs im Wege einer Dienstvereinbarung abgeben
kann. Für den Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes - der Betriebsrat
besitzt immerhin Allzuständigkeit für den Erlass von Betriebsvereinbarungen,
eingeschränkt nur durch den so genannten Tarifvorbehalt und natürlich
zwingendes Gesetzesrecht - vertritt Richardi) die Auffassung: "Bei seinem
(gemeint: des Tarifvorbehalts aus § 77 Abs. 3 BetrVG) Wegfall entfiele
nur eine Schranke für die Regelungszuständigkeit der Betriebsparteien.
Unangetastet bliebe der Vorrang des Tarifvertrags; denn die Beseitigung
des § 77 Absatz 3 BetrVG gibt den Betriebsparteien keine Befugnis
zu einem den Arbeitnehmer benachteiligenden Eingriff in die für
ihn (aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit oder einer arbeitsvertraglichen
Einbeziehungsabrede) geltenden Tarifvertragsregelungen."
Der grundsätzliche Vorrang) der kirchlichen Arbeitsvertragsordnung
vor der Dienstvereinbarung (so genanntes Ordnungsprinzip) ist nicht
erst in § 38 Absatz 3 Satz 2 MAVO (neu) verankert; dies ergibt
sich bereits aus Artikel 7 in Verbindung mit Artikel 8 der Grundordnung.
Artikel 7 Absatz 1, Sätze 2 und 3 Grundordnung bestimmen:
"Rechtsnormen für den Inhalt der Arbeitsverhältnisse kommen
zustande durch Beschlüsse von Kommissionen, die mit Vertretern
der Dienstgeber und Vertretern der Mitarbeiter paritätisch besetzt
sind. Die Beschlüsse dieser Kommissionen bedürfen der bischöflichen
Inkraftsetzung für das jeweilige Bistum."
Auch die neue Rahmen-Bistums-KODA-Ordnung sieht eine einseitige Regelungsbefugnis
des Gesetzgebers nur nach fruchtlosem zweistufigen Vermittlungsverfahren
und auch dann nur bei einem unabweisbaren Regelungsbedürfnis vor.
Nach hiesiger Kenntnis ist diese Rahmenordnung zumindest in diesem Punkt
in keiner Diözese abgeändert worden.
Nach der Vorschrift des can. 21 Codex Iuris Canonici (CIC) wird im
Zweifel der Widerruf eines früheren Gesetzes nicht vermutet, sondern
spätere Gesetze sind zu früheren in Beziehung zu setzen und
nach Möglichkeit mit diesen in Einklang zu bringen. Soweit eine
solche bischöfliche Notstandsverordnung nicht eindeutig aussagt,
dass für den dortigen Regelungssachverhalt das Ordnungsprinzip
des Artikel 7 Grundordnung außer Kraft gesetzt ist, bzw. der Bischof
dies im Wege der authentischen Auslegung festlegt, gilt das sich aus
Artikel 7 und 8 Grundordnung ergebende Verhältnis zwischen Arbeitsvertragsordnung
und Dienstvereinbarung weiter, solange der Zweifel daran, ob insoweit
das Ordnungsprinzip aufgehoben ist, andauert.6> Soweit sich die Außerkraftsetzung
des Ordnungsprinzips aus Artikel 7, 8 der Grundordnung nicht eindeutig
aus dieser Notstandsverordnung entnehmen lässt, wäre die dortige
Öffnungsklausel nicht geeignet, eine wirksame Grundlage für
eine verschlechternde Dienstvereinbarung abzugeben. Ein gut beratener
Gesetzgeber wird deshalb keine Öffnungsklauseln an der KODA / Arbeitsrechtlichen
Kommission vorbei ermöglichen.
2.4 Bestimmtheit der Öffnungsklauseln
Mit den bisherigen Ausführungen ist aber noch nicht geklärt,
wie eine Rechtsnorm, in der Regel also kirchliche Arbeitsvertragsordnung,
ausgestaltet sein muss, um den Abschluss ergänzender Dienstvereinbarungen
zu ermöglichen. Konkret gefragt: Wäre eine Öffnungsklausel
in einem künftigen Abschnitt XXV AVR-Caritas Anlage 1 mit folgendem
Wortlaut ausreichende Rechtsgrundlage für eine abweichende Dienstvereinbarung.:
"Stellen Dienstgeber und MAV übereinstimmend eine schlechte finanzielle
Lage der Einrichtung fest, kann in einer Dienstvereinbarung sowohl hinsichtlich
der Eingruppierung als auch der sonstigen in der AVR-Caritas Anlage
1 verankerten Ansprüche zum Nachteil des Mitarbeiters abgewichen
werden."
Richardi führt aus, dass die Tarifvertragsparteien die normative
Wirkung ihrer Regelung so begrenzen können, dass die Betriebsparteien
eine andere Regelung treffen können (Öffnungsklausel). "Sie
(die TV-Parteien) können ihre Regelungsbefugnis aber nicht auf
sie (die Betriebsparteien) delegieren, um Recht für Außenseiter
zu setzen. Die Mitbestimmung des Betriebsrats kann deshalb nicht durch
Tarifvertrag erweitert werden, sondern zulässig ist nur, dass Tarifvertragsparteien
in einer von ihnen getroffenen Regelung dem Arbeitgeber eine Befugnis
einräumen, deren Ausübung an die Zustimmung des Betriebsrats
gebunden wird (Bestimmungsklausel)."
Entgegen Stimmen in der Literatur wird normative (unmittelbare und
zwingende) Wirkung der kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen in ständiger
Rechtsprechung vom Bundesarbeitsgericht seit mindestens 1 5 Jahren abgelehnt,9>
so dass nicht alle Aussagen des obigen Zitats unbesehen übernommen
werden können. Richtig aber ist auf jeden Fall auch für das
Verhältnis kirchliche Arbeitsvertragsordnungen zur MAVO, dass durch
kirchliche Arbeitsvertragsordnung nicht Zuständigkeiten und Regelungsbefugnisse
der MAV geschaffen werden können, die in der MAVO nicht verankert
sind.10 Dies ergibt sich wiederum aus der klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten
in der Grundordnung (Ordnungsprinzip). Rechtsnormen für den Inhalt
der Arbeitsverhältnisse kommen gemäß Artikel 7 Grundordnung
durch die Beschlüsse der Kommissionen zustande. Das Mitarbeitervertretungsrecht
dient gemäß Artikel 8 Grundordnung hingegen der Sicherung
der Selbstbestimmung in der Arbeitsorganisation kirchlicher Einrichtungen.
Die Gremien der Mitarbeitervertretungsordnung sind an die Grundordnung,
insbesondere also auch an das Verhältnis zwischen Artikel 7 und
Artikel 8 Grundordnung, gebunden. Durch eine solch pauschale Öffnungsklausel,
wie oben beispielhaft dargestellt, würde die Arbeitsrechtliche
Kommission (AK) ihre Regelungsbefugnis für den gesamten Regelungsinhalt
der AVR-Caritas Anlage 1 auf die Betriebsparteien verlagern.
Voraussetzung für eine wirksame Dienstvereinbarung aufgrund Öffnungsklausel
in einer kirchlichen Arbeitsvertragsordnung ist aber, dass die Arbeitsvertragsordnung
sowohl den Anlass als auch die Grenzen der Abweichung in einer Dienstvereinbarung
hinreichend bestimmt festlegt, die Öffnungsklausel muss dem Bestimmtheitsgebot
genügen (weitere Ausführungen in ZMV 1/2000).
3. Vorrang von Rechtsnormen
§ 38 Absatz 3 Satz 1 MAVO (neu) lautet: "Dienstvereinbarungen
dürfen Rechtsnormen, insbesondere kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen,
nicht widersprechen. Bestehende Dienstvereinbarungen werden mit dem
In-Kraft-Treten einer Rechtsnorm gemäß Satz 1 unwirksam."
Die Regelung bezieht sich sowohl auf Dienstvereinbarungen nach §
38 Absatz 1 MAVO als auch solche nach § 38 Absatz 2 MAVO. Die Formulierung
des Satzes 1 kann nach dem Sprachverständnis des Verfassers nur
als missglückt bezeichnet werden. Weder Arbeitsvertragsordnungen
noch Dienstvereinbarungen bestehen aus jeweils einer einzigen inhaltlichen
Aussage - dann ließe sich ein Widerspruch leicht feststellen -,
sondern aus einer Vielzahl von Einzelaussagen in komplexem Regelungszusammenhang.
Wann widerspricht eine Dienstvereinbarung einer kirchlichen Arbeitsvertragsordnung/Rechtsnorm?
Schon dann, wenn eine Einzelaussage der Arbeitsvertragsordnung entgegensteht
bzw. durch die Öffnungsklausel nicht gedeckt ist, oder erst dann,
wenn 50 % des Inhalts der Dienstvereinbarung der Arbeitsvertragsordnung
widerspricht bzw. durch die Öffnungsklausel nicht abgedeckt ist?
Die Formulierung in der der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen
zur Anhörung vorgelegten Fassung war wesentlich besser, sie lautete:
"Dienstvereinbarungen dürfen ... nur insoweit erweitern, einschränken
oder ausschließen, als dies ... zulässt."
Zieht man diese ursprüngliche Formulierung zur Interpretation
des gesetzgeberischen Willens heran, folgt daraus, dass gemeint ist,
dass eine Dienstvereinbarung in keinem einzigen Punkt einer Rechtsnorm
widersprechen darf. Auch wegen des in Artikel 7 und 8 Grundordnung festgelegten
Ordnungsprinzips, das einen Gesamtvergleich zwischen Arbeitsvertragsordnung/Rechtsnorm
und Dienstvereinbarung ausschließt, liegt ein Widerspruch bereits
dann vor im Falle des § 38 Abs.1 MAVO, wenn die Dienstvereinbarung
in einer einzigen Aussage einer Arbeitsvertragsordnung/Rechtsnorm widerspricht
oder wenn - im Falle des § 38 Abs. 2 MAVO - eine einzige Aussage
der Dienstvereinbarung nicht "ausdrücklich" durch die Öffnungsklausel
"zugelassen" ist.
Diese Erkenntnis bestätigt auch das zu Ziffer II.2.4 gefundene
Ergebnis: Nur wenn die Öffnungsklausel in einer Arbeitsvertragsordnung
sowohl bezüglich des Anlasses als auch des zulässigen Umfangs
der Abweichungsmöglichkeiten hinreichend bestimmt ist, kann überhaupt
festgestellt werden, ob eine auf Grundlage dieser Öffnungsklausel
abgeschlossene Dienstvereinbarung vom Willen der KODA / Arbeitsrechtlichen
Kommission gedeckt ist oder ihm widerspricht.
In § 38 Absatz 3 Satz 2 MAVO bringt das im Verhältnis Arbeitsvertragsordnung
zur Dienstvereinbarung geltende Ordnungsprinzip zum Ausdruck: Widerspricht
die Dienstvereinbarung auch nur in einem einzigen Punkt einer neuen
Arbeitsvertragsordnung/Rechtsnorm, ist sie insgesamt unwirksam.
4. § 38 Absatz 4 MAVO blieb unverändert.
5. Nachwirkung
§ 38 Absatz 5 MAVO lautet: "Im Falle der Kündigung wirkt
die Dienstvereinbarung in den Angelegenheiten des Absatzes 1 noch. In
Dienstvereinbarungen nach Absatz 2 kann festgelegt werden, ob und in
welchem Umfang darin begründete Rechte der Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter bei Außerkrafttreten der Dienstvereinbarung fortgelten
sollen. Eine darüber hinausgehende Nachwirkung ist ausgeschlossen."
Satz 1 entspricht dem bisherigen § 38 Absatz 4 MAVO. Dienstvereinbarungen
in den Angelegenheiten des Absatzes 1 wirken im Falle einer Kündigung
auf jeden Fall nach. Ist eine solche Dienstvereinbarung von vornherein
befristet abgeschlossen, gibt es auch keine Nachwirkung.
Der sich auf die Dienstvereinbarung nach Absatz 2 beziehende Satz 2
sieht die Vereinbarung einer Fortgeltung für alle Fälle des
Außerkrafttretens der Dienstvereinbarung vor, allerdings nur hinsichtlich
in der Dienstvereinbarung "begründeter Rechte der Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter". Öffnungsklauseln in Arbeitsvertragsordnungen
dienen dazu, nachteilige Dienstvereinbarungen zuzulassen. Aus dem Ordnungsprinzip
und dem Regelungszusammenhang (wird keine Fortgeltung vereinbart, greift
ja wieder die Rechtsnorm bzw. Arbeitsvertragsordnung vollumfänglich)
folgt, dass nur über die Arbeitsvertragsordnung hinausgehende oder
in ihr nicht verankerte Rechte gemeint sein können.
Wenn der Gesetzgeber formuliert, dass "Rechte" fortgelten können,
ist hinsichtlich des Günstigkeitsverg gleiches wiederum auf die
oben bereits erwähnte Entscheidung hinzuweisen. Nur sachlich zusammenhängende
Arbeitsbedingungen können verglichen werden, eine Arbeitsplatzgarantie
kann nicht mit einer Reduzierung des Beschäftigungsumfangs bzw.
der Vergütung verglichen werden. In einer Dienstvereinbarung auf
Grundlage von Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 könnten MAV und
Dienstgeber also beispielsweise die Fortgeltung der Kündigungseinschränkung
(Abschnitt XVI g AVR-Caritas Anlage 1) nach Ablauf der Dienstvereinbarung
vereinbaren, nicht aber zugleich eine der in Abschnitt XVI Abs. c AVR-Caritas
Anlage 1 vorgesehenen Verschlechterungen; diese sind nicht "Rechte"
im Sinne des § 38 Absatz 5 Satz 2 MAVO.
6. Rückwirkende Inkraftsetzung
Der Verband der Diözesen Deutschlands hat empfohlen, diese MAVO
-Änderung rückwirkend ab dem 1.1.1999 in der jeweiligen Bistums-MAVO
umzusetzen. Dies wird auch so praktiziert. Das bedeutet, dass eine am
Anfang des Jahres 1999 geschlossene Dienstvereinbarung auf Grundlage
von Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1, in der der Beschäftigungsumfang
um 10 % herabgesetzt wurde, die bisher mangels Rechtsgrundlage in der
MAVO wegen Verstoß gegen § 48 MAVO gemäß §
134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig war, nunmehr rückwirkend
ab Januar 1999 geheilt wird. Wegen der Nichtigkeit der Dienstvereinbarung
sind bis zum Tag der rückwirkenden Inkraftsetzung der MAVO -Änderung
die monatlichen Vergütungsansprüche des Mitarbeiters in vollem
Umfang entstanden und auch fällig geworden, innerhalb der Ausschlussfristen
(§ 70 BAT, § 23 AVR-Caritas Allgemeiner Teil) konnte der Mitarbeiter
die einbehaltenen 10 Prozent nachverlangen. Können durch die Inkraftsetzung
der MAVO-Änderung irgendwann in der zweiten Hälfte des Jahres
1999 rückwirkend ab Januar 1999 diese Ansprüche wieder "einkassiert"
werden?
6.1 Eingriff in entstandene Ansprüche?
Wir haben nicht die Situation, dass eine Arbeitsvertragsordnung durch
rückwirkende Inkraftsetzung in entstandene Rechte von Mitarbeitern
eingreift, Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 wurde ja bereits im Jahre
1 998 beschlossen und nach Inkraftsetzung durch die Bischöfe ab
1.1. 1 999 in Kraft gesetzt.
Gleichwohl soll der besonderen Bedeutung wegen auch auf die Frage eingegangen
werden, ob durch rückwirkende 1 Inkraftsetzung von Arbeitsvertragsord
nungen ein verschlechternden Eingriff in bereits entstandene Rechte
der Mitarbeiter möglich wäre. Dies insbesondere deshalb, um
die in einer rückwirkenden Verschlechterung enthaltene verfassungsrechtliche
Problematik aufzuzeigen.
Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung vom 23.11.1994 unter
teilweiser Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden,
dass tarifvertragliche Regelungen auch während der Laufzeit des
Tarifvertrages den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit
durch Tarifvertrag in sich tragen und dass dies auch für bereits
entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche,
die aus einer Tarifnorm folgen, gelte. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien
zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen sei
nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der der Norm Unterworfenen
begrenzt; es gelten insoweit die gleichen Regeln wie bei der Rückwirkung
von Gesetzen.
In einer Entscheidung vom 20.4.1999 hat das Bundesarbeitsgericht abgesegnet,
dass die Tarifvertragsparteien durch eine rückwirkende Tariföffnungsklausel
eine Betriebsvereinbarung heilen können, die für den konkreten
Betrieb die wöchentliche Arbeitszeit von tariflich 35 Wochenstunden
auf 40 Wochenstunden bei gleich bleibender Vergütung heraufgesetzt
hafte. Auch hier prüft das Bundesarbeitsgericht, ob den Mitarbeitern
ein Vertrauensschutz zusteht. Im entschiedenen Fall traf dies nicht
zu, da die tarifschließende Gewerkschaft ihren Mitgliedern frühzeitig
mitgeteilt hatte, dass die Betriebsvereinbarung rückwirkend genehmigt
werden solle.
Von Bedeutung für das Verständnis dieser beiden Entscheidungen
ist, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber tarifgebunden waren, so dass
in diesen Fällen die Tarifverträge gemäß §
4 Absatz 1 Tarifvertragsgesetz unmittelbar und zwingend (das heißt
wie ein Gesetz) auf das Arbeitsvertragsverhältnis einwirken.
Die Eigentumsgarantie des Artikel 14 Grundgesetz umfaßt nicht
nur das Eigentum im bürgerlich-rechtlichen Sinne (Sachen, Grundstücke
usw.), sondern jedes private Vermögensrecht (Forderungen und anderes).
Das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung (Urteil vom 23.11.1994,
AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung) das Verhältnis zwischen
der durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz garantierten Normsetzungsbefugnis
der Tarifvertragsparteien und der Eigentumsgarantie des Artikel 14 Grundgesetz
untersucht. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts wäre der
Ausschluss der Befugnis, bereits entstandene Ansprüche durch rückwirkende
tarifvertragliche Regelungen herabzusetzen, ein Eingriff in die durch
Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz geschützte Gestaltungsbefugnis der
Tarifvertragsparteien (BAG, Urteil vom 23.11.1994, aaO, Blatt 1511,
Rückseite). Das Bundesarbeitsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen,
dass wenn die Tarifvertragsparteien das über Artikel 9 Absatz 3
Grundgesetz geschützte Recht haben, eine Tarifnorm auch rückwirkend
zu ändern, der aus der Tarifnorm erwachsene Einzelanspruch des
tarifgebundenen Arbeitnehmers ebenfalls die Schwäche der rückwirkenden
Abänderbarkeit in sich trage, also keine vorbehaltlos entstandene
und fällige Forderung sei. Somit liege auch keine Enteignung im
Sinne Artikel 14 Absatz 3 Grundgesetz vor.
Nach hiesiger Auffassung kann dies Ergebnis nicht auf die Regelungen
in kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen übertragen werden. Die
Kommissionen im Sinne des Artikels 7 der Grundordnung setzen sich nicht
aus Koalitionen im Sinne des Artikels 9 Absatz 3 Grundgesetz zusammen;
die Überlegung des Bundesarbeitsgerichts, der Ausschluss rückwirkender
Verschlechterungen von Tarifverträgen sei ein Eingriff in die über
Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz geschützte Gestaltungsbefugnis der
Tarifvertragsparteien, lässt sich nicht übertragen. Der Versuch,
eine im Verhältnis zum lndividualgrundrecht (Eigentumsgarantie,
Art. 14 GG) ähnlich geschützte Gestaltungsbefugnis der Kommissionen
unmittelbar aus Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137
Weimarer Reichsverfassung (WRV) ableiten zu wollen, wird so lange und
aus denselben Gründen zum Scheitern verurteilt sein, wie das Bundesarbeitsgericht
Versuchen, aus Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137 WRV
eine normative Wirkung der kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen abzuleiten,
in ständiger Rechtsprechung eine Absage erteilt.
Die Geltung der kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen wird allein durch
die Einbeziehungsklausel im Arbeitsvertrag erreicht. Auch wenn man dem
Gedankenmodell von Richardi, aufgenommen in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
vom 17.04.1996 folgt, dass nämlich die KODA / Arbeitsrechtliche
Kommission Dritter im Sinne des § 317 BGB sei, ändert dies
nichts daran, dass sie ihre Gestaltungsbefugnis für das Arbeitsverhältnis
allein durch einen privatrechtlichen Gestaltungsakt (Abschluss eines
Arbeitsvertrages mit Einbeziehungsklausel) erhält, nicht aber durch
eine grundgesetzlich geschützte Position. Ein Hinweis darauf, dass
die im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Arbeitsvertragsordnungen auch
rückwirkend in die Vergangenheit hinein verschlechtert werden können,
ist in keinem mir bekannten Arbeitsvertragsmuster enthalten; ein Mitarbeiter
hat bei Unterschriftsleistung unter einem solchen Arbeitsvertrag sicher
auch nicht die Vorstellung, Vertragsbedingungen könnten in die
Vergangenheit hinein verschlechtert werden, im Gegenteil, dies würde
er sich vermutlich ausdrücklich verbitten.
Eine rechtlich schützenswerte Befugnis der Kommission, auch in
die Vergangenheit hinein Arbeitsvertragsordnungen zu verschlechtern,
existiert nicht. Der aus einer Arbeitsvertragsordnung entstandene und
fällige Anspruch eines Mitarbeiters leidet somit nicht unter der
immanenten Schwäche der rückwirkenden Herabsetzung. Die Forderung
auf die Vergütung entsteht monatlich, fällig wird sie am letzten
Werktag (AVR-Caritas Anwendungsbereich) bzw. am 15. des Kalendermonats
(BAT-Anwendungsbereich). Diese Forderung fällt in den Schutzbereich
des Artikel 1 4 Grundgesetz.
Durch rückwirkende Inkraftsetzung einer kirchlichen Arbeitsvertragsordnung
können entstandene und fällige, gar bereits ausbezahlte Ansprüche
im Gegensatz zum Tarifvertragsbereich nicht rückwirkend herabgesetzt
werden.
6.2 Rückwirkende Änderung der MAVO
Durch die rückwirkende Inkraftsetzung der MAVO-Änderung ab
1.1.1999 will erreicht werden, dass die Nichtigkeit der vor dem lnkraftsetzungstermin
bereits abgeschlossenen Dienstvereinbarungen, z. B. nach Abschnitt XVI
AVR-Caritas Anlage 1, rückwirkend geheilt wird. Nach Abschnitt
XVI Abs. g AVR-Caritas Anlage 1 darf während der Laufzeit einer
solchen Dienstvereinbarung den betroffenen Mitarbeitern ohne Zustimmung
der Mitarbeitervertretung nicht betriebsbedingt gekündigt werden,
es sei denn, die Schließung der Einrichtung oder wesentlicher
Teile ist wider Erwarten nicht zu vermeiden. In dieser Formulierung
("Zustimmung" bei Kündigung) ist keine Änderung der MAVO (§
30 MAVO ist bekanntlich ein Anhörungs- und Mitberatungstatbestand)
zu sehen, die Arbeitsrechtliche Kommission setzt vielmehr die Mitarbeitervertretung
als ihren Regelungsgehilfen ein, indem ein Abweichen von der in der
Arbeitsvertragsordnung vorgeschriebenen Kündigungseinschränkung
materiellrechtlich an die Unvermeidbarkeit der Schließung der
Einrichtung oder eines wesentlichen Teils und an die Zustimmung der
MAV geknüpft wird. Durch Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 wird
also keineswegs § 30 MAVO geändert, die Arbeitsrechtliche
Kommission hätte ein Abweichen von der Kündigungseinschränkung
genauso an die Zustimmung beispielsweise des Leiters des örtlichen
Arbeitsgerichts oder Arbeitsamtes knüpfen können. Voraussetzung
für ein Tätigwerden in diesem Sinne ist ja die durch einen
Wirtschaftsprüfer festgestellte wirtschaftliche Notsituation der
Einrichtung. Damit lässt sich diese Tätigkeit der MAV mitarbeitervertretungsrechtlich
sicherlich unter der Generalklausel des § 26 Abs. 1 MAVO subsumieren.
Das Problem der rückwirkenden MAVO-Änderung liegt auf anderer
Ebene: "Auch können Mitbestimmungsbefugnisse nicht rückwirkend
erweitert werden, da der Arbeitgeber das Mitbestimmungsverfahren nur
nach dem zum Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahme bestehenden
Recht abwickeln kann. Can. 9 CIC bestimmt für kirchliche Gesetze,
wie z. B. die MAVO: Gesetze betreffen Zukünftiges, nicht das in
der Vergangenheit Geschehene, wenn nicht eigens in ihnen über Vergangenes
etwas vorgesehen ist.
Nach der Kommentar-Meinung) zu dieser Vorschrift des CIC ist "rechtslogisch
schlechthin ausgeschlossen, dass ein neues Gesetz Geschehenes ungeschehen
macht, eine nach altem Recht erlaubt abgeschlossene Rechtshandlung für
rechtswidrig oder unwirksam erklärt, Verpflichtungen begründet,
die schon vor seinem In-Kraft-Treten hätten erfüllt werden
sollen".
Ein Beispiel, was die rückwirkende Heilung der Dienstvereinbarung
bedeuten kann: In einer Einrichtung wurde im Januar 7999 eine Dienstvereinbarung
auf Grundlage Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 7 abgeschlossen. Gleichwohl
hört der Dienstgeber die MAV zu einer betriebsbedingten Kündigung
im März 7999 an, ohne dass die Einrichtung oder ein wesentlicher
Teil geschlossen werden muss; er weist auf die Nichtigkeit der Dienstvereinbarung
im Zeitpunkt März 7999 wegen Verstoß gegen § 48 MAVO
hin. Zu unterstellen ist, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen
für die betriebsbedingte Kündigung eines einzelnen Mitarbeiters
vorliegen, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht vorliegt
und auch die Sozialauswahl zutreffend vorgenommen wurde.
Da die Kündigungsbeschränkung des Abschnitts XVI Abs. g AVR-Caritas
Anlage 1 ausdrücklich an die Laufzeit der Dienstvereinbarung anknüpft,
eine wirksame Dienstvereinbarung im März 1 999 jedoch wegen Nichtigkeit
nicht vorhanden ist, kann die MAV sich im März 1999 nicht gemäß
§ 30 Absatz 3 Nr. 1 MAVO darauf berufen, die beabsichtigte Kündigung
verstoße gegen die Kündigungseinschränkung des Abschnitt
XVI g AVR-Caritas Anlage 1. Eine Regelungsabrede, an deren Zulässigkeit
ebenfalls Bedenken bestehen, löst nach dem klaren Wortlaut die
Kündigungseinschränkung nicht aus. Da auch der Dienstgeber
aufgrund nichtiger Dienstvereinbarung nicht von der Verpflichtung zur
Zahlung der vollen Vergütung frei wird, kann sich die MAV auch
nicht auf Verletzung "sonstigen geltenden Rechts" im Sinne des §
30 Absatz 3 Nr.1 MAVO berufen, hier auf das Verbot des venire contra
factum proprium" (Grundsatz, wonach es gegen Treu und Glauben verstößt,
sich zu einem früheren, für den Anspruchsgegner relevanten
Verhalten in Widerspruch zu setzen). Ergebnis ist, dass die MAV im März
1999 wegen Nichtigkeit der Dienstvereinbarung wohl keine Möglichkeit
gehabt hätte, der beabsichtigten Kündigung zu widersprechen.
Ganz anders bei rückwirkender Inkraftsetzung dieser MAVO-Änderung.
Die Nichtigkeit der Dienstvereinbarung wird rückwirkend geheilt;
hätte die neue MAVO bereits im März gegolten, hätte die
MAV einwenden können, dass die beabsichtigte Kündigung gegen
"kircheneigene Ordnungen" verstößt, nämlich die Kündigungseinschränkung
in Abschnitt XVI Abs. g AVR-Caritas Anlage 1, weil weder die Schließung
der Einrichtung noch eines wesentlichen Teils unvermeidbar ist und die
MAV insoweit als Regelungsgehilfe der Arbeitsrechtlichen Kommission
die Zustimmung verweigert. Dieser in der Vergangenheit, im März,
abgeschlossene Lebenssachverhalt ist durch die rückwirkende Inkraftsetzung
rechtlich ganz anders zu beurteilen, was sowohl nach CIC als auch nach
weltlichem Recht nicht möglich ist. Nachdem angesichts der hohen
Messlatte, die die Arbeitsrechtliche Kommission vor den Abschluss einer
solchen Dienstvereinbarung nach Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 gesetzt
hat, es wohl kaum Dienstvereinbarungen auf dieser Grundlage bisher gibt,
dem Unterzeichner ist keine einzige bekannt, bestand auch keine Not,
diese Rechtsänderung rückwirkend ab 1.1.1999 in Kraft zu setzen;
rechtlich ist das jedenfalls außerordentlich bedenklich.
Wesentlich häufiger als Dienstvereinbarungen nach Abschnitt XVI
AVR-Caritas Anlage 1 dürften Dienstvereinbarungen gemäß
Anlage Sb AVR-Caritas (Mobilzeit) sein, die ab 1.1.1998 möglich
sind. Einige der Dienstvereinbarung dort eingeräumte Möglichkeiten,
z. B. die Faktorisierung der Zeitgutschriften (§ 4 AVR-Caritas
Anlage Sb), waren nach der bisherigen Fassung des § 38 MAVO unzulässig.
Sie lassen sich nicht unter die in § 38 Absatz 1 Nr. 1 MAVO aufgeführten
Tatbestandsmerkmale subsumieren, eine MAV-Zuständigkeit für
Regelungen zur betrieblichen Lohngestaltung existiert in der MAVO im
Gegensatz zum Betriebsverfassungsgesetz nicht. Die Inkraftsetzung der
MAVO-Änderung rückwirkend zum 1.1.1999 führt bezüglich
der noch im Jahre 1998 abgeschlossenen Dienstvereinbarungen nach AVR-Caritas
Anlage 5b, soweit sie von der Möglichkeit der Faktorisierung in
§ 4 AVR-Caritas Anlage 5b Gebrauch gemacht haben, zu der absurden
Situation, dass diese Dienstvereinbarungen bis zum 31.12.1998 weiterhin
nichtig bleiben und erst ab 1.1.1999 geheilt sind.