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Dienstvereinbarungen aufgrund von Öffnungsklauseln

Klaus Oldiges, Breisach

aus ZMV 6/99 Seite 271 ff

Dienstvereinbarungen zwischen Dienstgeber und Mitarbeitervertretung aufgrund von Öffnungsklauseln, wie sie die Neuregelung zu § 38 MAVO vorsieht, werfen viele komplizierte rechtliche Fragestellungen auf, insbesondere wenn durch solche Dienstvereinbarungen Vergütungsbestandteile auf betrieblicher Ebene geregelt werden sollen, wie z. B. die Härtefallregelung der AVR-Caritas. Mit den rechtlichen Fragestellungen müssen sich vor allem Vertreter und Vertreterinnen in der Arbeitsrechtlichen Kommissionen und in den KODAen befassen, bevor sie Öffnungsklauseln beschließen, sowie Mitarbeitervertretungen und Dienstgeber, bevor sie Dienstvereinbarungen aufgrund von Öffnungsklauseln abschließen.

Der folgende Beitrag behandelt die Rechtsfragen von Dienstvereinbarungen aufgrund von Öffnungsklauseln, insbesondere im Hinblick auf die Neuregelung der MAVO. Da Öffnungsklauseln häufig die Möglichkeit eröffnen sollen, über Dienstvereinbarungen Leistungen an die Mitarbeiter einzuschränken, ist die genaue Kenntnis der rechtlichen Bedeutung und Folgen solcher Dienstvereinbarungen unverzichtbar.

Die Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands hat am 21.6.1999 eine Änderung der §§ 36 bis 38 der Rahmen-MAVO beschlossen, die in den einzelnen Bistümern zum Teil bereits umgesetzt ist. Anlass für die Änderung des § 38 MAVO waren einige Öffnungsklauseln zugunsten Dienstvereinbarungen enthaltende Regelungen der AVR-Caritas (z. B. "Öffnungsklausel für Notsituationen", Abschnitt XVI Anlage 1 AVR-Caritas). Der Beitrag will die Änderungen aus Mitarbeitersicht bewerten und auch untersuchen, ob damit eine hinreichende Rechtsgrundlage für Dienstvereinbarungen aufgrund diverser Öffnungsklauseln, insbesondere in den AVR-Caritas, geschaffen ist.

 

I. Änderung der §§ 36, 37 MAVO

Neuer Begriff: Rechtsnormen

Änderung der § 36 und 37 MAVO, jeweils Absatz 1, Satz 1: Die alte Formulierung sah die Mitbestimmung der MAV vor, "soweit nicht eine kirchliche Arbeitsvertragsordnung oder sonstige kirchliche gesetzliche Regelung Anwendung findet".

Die neue Formulierung lautet: "soweit nicht eine kirchliche Arbeitsvertragsordnung oder sonstige Rechtsnorm Anwendung findet".

Rechtsnormen im Sinne des staatlichen Zivilrechts sind das Grundgesetz, EG-Recht, staatliche Gesetze im eigentlichen Sinne, staatliche Rechtsverordnungen, die auf gesetzlicher Grundlage erlassen sind, aber auch Regelungen, die von anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften (beispielsweise Berufsgenossenschaften) oder den Kirchen im Rahmen ihrer Zuständigkeit erlassen sind.1 Damit sind die vom Bischof in Kraft gesetzten Arbeitsvertragsordnungen, die MAVO und andere vom Bischof in der für kirchliche Gesetze vorgesehenen Art und Weise in Kraft gesetzten Regelungen genauso Rechtsnormen im Sinne des weltlichen Privatrechts wie es staatliche Gesetze (beispielsweise zum Arbeitsschutzrecht) sind.

Neu ist, dass auch staatliche Rechtsnormen (also nicht etwas, was lediglich die Qualität einer Verwaltungsrichtlinie hat) die Mitbestimmung der MAV einschränken. Dies ist keine Verschlechterung gegenüber dem bisherigen Rechtszustand. Wenn ein Dienstgeber in einem Regelungssachverhalt, der unter die Tatbestände der §§ 36 oder 37 MAVO fällt, aufgrund zwingenden staatlichen Rechts keine eigene Entscheidungsmöglichkeit hat, sondern entsprechend dem Gesetz zu verfahren hat, gab und gibt es keine Mitbestimmung. Wenn jedoch staatliche Rechtsnormen eine Beteiligung des Betriebsrats oder der MAV ausdrücklich vorsehen, beispielsweise im Arbeitsschutzgesetz, ist die MAV selbstverständlich zu beteiligen, soweit Tatbestände der §§ 36, 37, jeweils Absatz 1, MAVO berührt sind.

Auch in den Vorschriften der §§ 36, 37, 38, jeweils Absatz 1 Nr. 8, MAVO wurde die Formulierung "soweit nicht durch Rechtsvorschriften oder durch Ausbildungsvertrag geregelt" durch die Formulierung "soweit nicht durch Rechtsnormen oder durch Ausbildungsvertrag geregelt" ersetzt. Da unter den Begriff "Rechtsvorschriften" auch Regelungen fallen, die nicht die Qualität als Rechtsnorm besitzen, ist dies eine Stärkung der Beteiligung der MAV bei Durchführung der "betrieblichen" Ausbildung, da sie nunmehr lediglich durch den Inhalt des Ausbildungsvertrages und Vorschriften mit Rechtsnormqualität (z. B. Berufsbildungsgesetz - BBiG), bischöfliche Aus- und Fortbildungsverordnungen, soweit sie in der für kirchliche Gesetze vorgesehenen Art und Weise in Kraft gesetzt sind, beschränkt wird.

 

II. Änderung des § 38 MAVO

1. Anlehnung an das Betriebsverfassungsgesetz

Im Übrigen bleibt § 38 Absatz 1 MAVO unverändert und stellt nach wie vor eine abschließende Aufzählung der Tatbestände, in denen eine Dienstvereinbarung zulässig ist, dar. § 38 Absatz 2 in der neuen Fassung schafft die Grundlage in der MAVO, die in Arbeitsvertragsordnungen, z. B. den AVR-Caritas, enthaltenen Öffnungsklauseln umzusetzen. Insoweit nimmt die MAVO für die Dienstvereinbarung erstmals einen Regelungsgedanken aus dem Betriebsverfassungsrecht auf.

 

2. Dienstvereinbarungen aufgrund von Öffnungsklauseln

§ 38 Absatz 2 MAVO (neu) lautet: "Dienstvereinbarungen können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die in Rechtsnormen, insbesondere in kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen, geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, zum Gegenstand haben, wenn eine Rechtsnorm den Abschluss ergänzender Dienstvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

Eine ähnliche Regelung ist aus dem Betriebsverfassungsgesetz als so genannter Tarifvorbehalt (§ 77 Absatz 3 BetrVG) bekannt. Zum Vergleich dessen Wortlaut: "Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt.

Unter den "sonstigen Arbeitsbedingungen", die in Arbeitsvertragsordnungen bzw. Tarifverträgen geregelt sein können, sind beispielsweise Dauer und Lage der täglichen Arbeitszeit, Urlaub und Urlaubsgewährung, Regelungen über Zeit, Ort und Art der Auszahlung der Vergütung und anderes mehr zu verstehen. Mit der Formulierung "üblicherweise geregelt werden" wird im Anwendungsbereich von Tarifverträgen darauf abgestellt, ob dieser Sachverhalt bereits einmal tariflich geregelt war oder ist und davon auszugehen ist, dass die Tarifvertragsparteien nach Ablauf des Tarifvertrages diesen Sachverhalt erneut regeln wollen. Wenn dem so ist, können dieselben Sachverhalte nur dann auf betrieblicher Ebene durch Betriebsvereinbarung geregelt werden, wenn der Tarifvertrag dies ausdrücklich zulässt. Dieses Verständnis kann noch Auffassung des Verfassers auch auf § 38 Absatz 2 MAVO übertragen werden, ist allerdings sicherlich wesentlich weniger praxisrelevant, da die kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen im Gegensatz zu vielen tarifvertraglichen Regelungen selten für eine bestimmte Laufzeit, sondern in der Regel unbefristet abgeschlossen werden.

Gravierend ist der Unterschied zwischen MAVO und Betriebsverfassungsgesetz im Hinblick auf die Vorbehaltsklausel. Während nach Betriebsverfassungsgesetz ausschließlich im Tarifvertrag selbst eine Öffnungsklausel zugunsten Betriebsvereinbarungen enthalten sein kann, kann nach § 38 Abs. 2 MAVO "eine Rechtsnorm" den Abschluss ergänzender Dienstvereinbarungen zulassen.

Trotz deutlicher Kritik der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen in ihrer Stellungnahme zum Entwurf ist diese nachteilige Abweichung gegenüber dem Betriebsverfassungsgesetz nicht beseitigt worden.

 

2.1 Öffnungsklauseln in staatlichen Gesetzen?

Nach der Formulierung (zum Begriff der Rechtsnorm siehe oben) könnte auch eine staatliche Rechtsnorm eine Öffnungsklausel zugunsten verschlechternder Dienstvereinbarungen schaffen; allerdings ist dieses Risiko in unserem Gesellschaftssystem vernachlässigbar, da staatlicherseits im Bereich Entgelt und sonstige geldwerte Arbeitsbedingungen (z. B. Urlaub, Lohnfortzahlung bei Krankheit) allenfalls Mindestarbeitsbedingungen festgelegt werden.

 

2.2 Öffnungsklauseln in bischöflichen Gesetzen?

Öffnungsklauseln können nach dem Wortlaut der Formulierung ("... eine Rechtsnorm , nicht die bzw. dieselbe Rechtsnorm) nicht nur durch die Rechtsnorm, die die Vergütungsregelung enthält, zugelassen werden. Grundsätzlich ermöglicht diese Formulierung, dass z. B. in einer bischöflichen "Notstandsverordnung" Öffnungsklauseln geschaffen werden, um durch Dienstvereinbarung Vergütungsabsenkungen oder Reduzierungen des Beschäftigungsumfangs zu erreichen, wenn in einer Kommission im Sinne des Art. 7 Grundordnung die Mitarbeiterseite nicht zu einer entsprechenden Öffnungsklausel bereit ist.

Allerdings wird eine solche nicht von der KODA oder der Arbeitsrechtlichen Kommission beschlossene Öffnungsklausel zugunsten vergütungsabsenkender Dienstvereinbarungen über die arbeitsvertragliche Einbeziehungsklausel gemäß dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 1 7.4.1996 - 10 AZR 558/95 - nicht Vertragsbestandteil; die Geltung einer solchen Notstandsverordnung müsste vielmehr mit jedem Mitarbeiter einzeln vereinbart oder im Wege einer Änderungskündigung gegenüber ihm durchgesetzt werden. Ist die durch Öffnungsklausel eine verschlechternde Dienstvereinbarung ermöglichende Rechtsnorm nicht Vertragsbestandteil des Arbeitsvertrages, kann der Mitarbeiter unter Berufung auf das "Günstigkeitsprinzip" seine gegenüber der verschlechternden Dienstvereinbarung bessere, vertraglich vereinbarte Vergütung bzw. Beibehaltung des bisherigen Beschäftigungsumfangs verlangen. Da solche Regelungen (wie z. B. Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 als Gegenleistung für die Stundung oder Herabsetzung der Vergütung eine Arbeitsplatzgarantie, zumindest aber eine Einschränkung der Möglichkeit des Dienstgebers zur betriebsbedingten Kündigung, enthalten, ist wichtig, was im Rahmen eines Günstigkeitsvergleichs miteinander verglichen werden darf, um festzustellen, ob Dienstvereinbarung oder der Individualarbeitsvertrag günstiger ist. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet in ständiger Rechtsprechung), dass § 4 Absatz 3 Tarifvertragsgesetz es nicht zulasse, dass Tarifbestimmungen über die Höhe des Arbeitsentgelts und über die Dauer der regelmäßigen Arbeitszeit mit einer betrieblichen Arbeitsplatzgarantie verglichen werden. Kirchliche Arbeitsvertragsordnungen enthalten genauso wie Tarifverträge Mindestarbeitsbedingungen, von denen grundsätzlich nur zugunsten des Mitarbeiters abgewichen werden kann. Ist eine eine verschlechternde Dienstvereinbarung ermöglichende Rechtsnorm nicht zum Vertragsbestandteil des Arbeitsvertrages des Mitarbeiters geworden, gilt die oben dargestellte Aussage des Bundesarbeitsgerichts auch im Verhältnis Dienstvereinbarung zum Einzelarbeitsvertrag des Mitarbeiters. Da die Kündigungserschwerung nicht in den Günstigkeitsvergleich mit der Absenkung von Vergütung und Arbeitszeit oder Stundung von Vergütungsbestandteilen einbezogen werden kann, behält der Mitarbeiter seinen vollen Vergütungsanspruch.

 

2.3 Grenzen des Tarifvorbehalts

Abgesehen von dieser Überlegung bestehen unbeschadet der uneingeschränkten Gesetzgebungskompetenz des (Erz-) Bischofs erhebliche Zweifel, ob eine an der KODA / Arbeitsrechtlichen Kommission vorbei erlassene bischöfliche Notstandsverordnung eine wirksame Öffnungsklausel zur Absenkung der Vergütung oder Vergütungsbestandteilen bzw. Reduzierung des Beschäftigungsumfangs im Wege einer Dienstvereinbarung abgeben kann. Für den Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes - der Betriebsrat besitzt immerhin Allzuständigkeit für den Erlass von Betriebsvereinbarungen, eingeschränkt nur durch den so genannten Tarifvorbehalt und natürlich zwingendes Gesetzesrecht - vertritt Richardi) die Auffassung: "Bei seinem (gemeint: des Tarifvorbehalts aus § 77 Abs. 3 BetrVG) Wegfall entfiele nur eine Schranke für die Regelungszuständigkeit der Betriebsparteien. Unangetastet bliebe der Vorrang des Tarifvertrags; denn die Beseitigung des § 77 Absatz 3 BetrVG gibt den Betriebsparteien keine Befugnis zu einem den Arbeitnehmer benachteiligenden Eingriff in die für ihn (aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit oder einer arbeitsvertraglichen Einbeziehungsabrede) geltenden Tarifvertragsregelungen."

Der grundsätzliche Vorrang) der kirchlichen Arbeitsvertragsordnung vor der Dienstvereinbarung (so genanntes Ordnungsprinzip) ist nicht erst in § 38 Absatz 3 Satz 2 MAVO (neu) verankert; dies ergibt sich bereits aus Artikel 7 in Verbindung mit Artikel 8 der Grundordnung. Artikel 7 Absatz 1, Sätze 2 und 3 Grundordnung bestimmen:

"Rechtsnormen für den Inhalt der Arbeitsverhältnisse kommen zustande durch Beschlüsse von Kommissionen, die mit Vertretern der Dienstgeber und Vertretern der Mitarbeiter paritätisch besetzt sind. Die Beschlüsse dieser Kommissionen bedürfen der bischöflichen Inkraftsetzung für das jeweilige Bistum."

Auch die neue Rahmen-Bistums-KODA-Ordnung sieht eine einseitige Regelungsbefugnis des Gesetzgebers nur nach fruchtlosem zweistufigen Vermittlungsverfahren und auch dann nur bei einem unabweisbaren Regelungsbedürfnis vor. Nach hiesiger Kenntnis ist diese Rahmenordnung zumindest in diesem Punkt in keiner Diözese abgeändert worden.

Nach der Vorschrift des can. 21 Codex Iuris Canonici (CIC) wird im Zweifel der Widerruf eines früheren Gesetzes nicht vermutet, sondern spätere Gesetze sind zu früheren in Beziehung zu setzen und nach Möglichkeit mit diesen in Einklang zu bringen. Soweit eine solche bischöfliche Notstandsverordnung nicht eindeutig aussagt, dass für den dortigen Regelungssachverhalt das Ordnungsprinzip des Artikel 7 Grundordnung außer Kraft gesetzt ist, bzw. der Bischof dies im Wege der authentischen Auslegung festlegt, gilt das sich aus Artikel 7 und 8 Grundordnung ergebende Verhältnis zwischen Arbeitsvertragsordnung und Dienstvereinbarung weiter, solange der Zweifel daran, ob insoweit das Ordnungsprinzip aufgehoben ist, andauert.6> Soweit sich die Außerkraftsetzung des Ordnungsprinzips aus Artikel 7, 8 der Grundordnung nicht eindeutig aus dieser Notstandsverordnung entnehmen lässt, wäre die dortige Öffnungsklausel nicht geeignet, eine wirksame Grundlage für eine verschlechternde Dienstvereinbarung abzugeben. Ein gut beratener Gesetzgeber wird deshalb keine Öffnungsklauseln an der KODA / Arbeitsrechtlichen Kommission vorbei ermöglichen.

 

2.4 Bestimmtheit der Öffnungsklauseln

Mit den bisherigen Ausführungen ist aber noch nicht geklärt, wie eine Rechtsnorm, in der Regel also kirchliche Arbeitsvertragsordnung, ausgestaltet sein muss, um den Abschluss ergänzender Dienstvereinbarungen zu ermöglichen. Konkret gefragt: Wäre eine Öffnungsklausel in einem künftigen Abschnitt XXV AVR-Caritas Anlage 1 mit folgendem Wortlaut ausreichende Rechtsgrundlage für eine abweichende Dienstvereinbarung.: "Stellen Dienstgeber und MAV übereinstimmend eine schlechte finanzielle Lage der Einrichtung fest, kann in einer Dienstvereinbarung sowohl hinsichtlich der Eingruppierung als auch der sonstigen in der AVR-Caritas Anlage 1 verankerten Ansprüche zum Nachteil des Mitarbeiters abgewichen werden."

Richardi führt aus, dass die Tarifvertragsparteien die normative Wirkung ihrer Regelung so begrenzen können, dass die Betriebsparteien eine andere Regelung treffen können (Öffnungsklausel). "Sie (die TV-Parteien) können ihre Regelungsbefugnis aber nicht auf sie (die Betriebsparteien) delegieren, um Recht für Außenseiter zu setzen. Die Mitbestimmung des Betriebsrats kann deshalb nicht durch Tarifvertrag erweitert werden, sondern zulässig ist nur, dass Tarifvertragsparteien in einer von ihnen getroffenen Regelung dem Arbeitgeber eine Befugnis einräumen, deren Ausübung an die Zustimmung des Betriebsrats gebunden wird (Bestimmungsklausel)."

Entgegen Stimmen in der Literatur wird normative (unmittelbare und zwingende) Wirkung der kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen in ständiger Rechtsprechung vom Bundesarbeitsgericht seit mindestens 1 5 Jahren abgelehnt,9> so dass nicht alle Aussagen des obigen Zitats unbesehen übernommen werden können. Richtig aber ist auf jeden Fall auch für das Verhältnis kirchliche Arbeitsvertragsordnungen zur MAVO, dass durch kirchliche Arbeitsvertragsordnung nicht Zuständigkeiten und Regelungsbefugnisse der MAV geschaffen werden können, die in der MAVO nicht verankert sind.10 Dies ergibt sich wiederum aus der klaren Abgrenzung der Zuständigkeiten in der Grundordnung (Ordnungsprinzip). Rechtsnormen für den Inhalt der Arbeitsverhältnisse kommen gemäß Artikel 7 Grundordnung durch die Beschlüsse der Kommissionen zustande. Das Mitarbeitervertretungsrecht dient gemäß Artikel 8 Grundordnung hingegen der Sicherung der Selbstbestimmung in der Arbeitsorganisation kirchlicher Einrichtungen. Die Gremien der Mitarbeitervertretungsordnung sind an die Grundordnung, insbesondere also auch an das Verhältnis zwischen Artikel 7 und Artikel 8 Grundordnung, gebunden. Durch eine solch pauschale Öffnungsklausel, wie oben beispielhaft dargestellt, würde die Arbeitsrechtliche Kommission (AK) ihre Regelungsbefugnis für den gesamten Regelungsinhalt der AVR-Caritas Anlage 1 auf die Betriebsparteien verlagern.

Voraussetzung für eine wirksame Dienstvereinbarung aufgrund Öffnungsklausel in einer kirchlichen Arbeitsvertragsordnung ist aber, dass die Arbeitsvertragsordnung sowohl den Anlass als auch die Grenzen der Abweichung in einer Dienstvereinbarung hinreichend bestimmt festlegt, die Öffnungsklausel muss dem Bestimmtheitsgebot genügen (weitere Ausführungen in ZMV 1/2000).

 

3. Vorrang von Rechtsnormen

§ 38 Absatz 3 Satz 1 MAVO (neu) lautet: "Dienstvereinbarungen dürfen Rechtsnormen, insbesondere kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen, nicht widersprechen. Bestehende Dienstvereinbarungen werden mit dem In-Kraft-Treten einer Rechtsnorm gemäß Satz 1 unwirksam."

Die Regelung bezieht sich sowohl auf Dienstvereinbarungen nach § 38 Absatz 1 MAVO als auch solche nach § 38 Absatz 2 MAVO. Die Formulierung des Satzes 1 kann nach dem Sprachverständnis des Verfassers nur als missglückt bezeichnet werden. Weder Arbeitsvertragsordnungen noch Dienstvereinbarungen bestehen aus jeweils einer einzigen inhaltlichen Aussage - dann ließe sich ein Widerspruch leicht feststellen -, sondern aus einer Vielzahl von Einzelaussagen in komplexem Regelungszusammenhang. Wann widerspricht eine Dienstvereinbarung einer kirchlichen Arbeitsvertragsordnung/Rechtsnorm? Schon dann, wenn eine Einzelaussage der Arbeitsvertragsordnung entgegensteht bzw. durch die Öffnungsklausel nicht gedeckt ist, oder erst dann, wenn 50 % des Inhalts der Dienstvereinbarung der Arbeitsvertragsordnung widerspricht bzw. durch die Öffnungsklausel nicht abgedeckt ist?

Die Formulierung in der der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen zur Anhörung vorgelegten Fassung war wesentlich besser, sie lautete: "Dienstvereinbarungen dürfen ... nur insoweit erweitern, einschränken oder ausschließen, als dies ... zulässt."

Zieht man diese ursprüngliche Formulierung zur Interpretation des gesetzgeberischen Willens heran, folgt daraus, dass gemeint ist, dass eine Dienstvereinbarung in keinem einzigen Punkt einer Rechtsnorm widersprechen darf. Auch wegen des in Artikel 7 und 8 Grundordnung festgelegten Ordnungsprinzips, das einen Gesamtvergleich zwischen Arbeitsvertragsordnung/Rechtsnorm und Dienstvereinbarung ausschließt, liegt ein Widerspruch bereits dann vor im Falle des § 38 Abs.1 MAVO, wenn die Dienstvereinbarung in einer einzigen Aussage einer Arbeitsvertragsordnung/Rechtsnorm widerspricht oder wenn - im Falle des § 38 Abs. 2 MAVO - eine einzige Aussage der Dienstvereinbarung nicht "ausdrücklich" durch die Öffnungsklausel "zugelassen" ist.

Diese Erkenntnis bestätigt auch das zu Ziffer II.2.4 gefundene Ergebnis: Nur wenn die Öffnungsklausel in einer Arbeitsvertragsordnung sowohl bezüglich des Anlasses als auch des zulässigen Umfangs der Abweichungsmöglichkeiten hinreichend bestimmt ist, kann überhaupt festgestellt werden, ob eine auf Grundlage dieser Öffnungsklausel abgeschlossene Dienstvereinbarung vom Willen der KODA / Arbeitsrechtlichen Kommission gedeckt ist oder ihm widerspricht.

In § 38 Absatz 3 Satz 2 MAVO bringt das im Verhältnis Arbeitsvertragsordnung zur Dienstvereinbarung geltende Ordnungsprinzip zum Ausdruck: Widerspricht die Dienstvereinbarung auch nur in einem einzigen Punkt einer neuen Arbeitsvertragsordnung/Rechtsnorm, ist sie insgesamt unwirksam.

 

4. § 38 Absatz 4 MAVO blieb unverändert.

 

5. Nachwirkung

§ 38 Absatz 5 MAVO lautet: "Im Falle der Kündigung wirkt die Dienstvereinbarung in den Angelegenheiten des Absatzes 1 noch. In Dienstvereinbarungen nach Absatz 2 kann festgelegt werden, ob und in welchem Umfang darin begründete Rechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Außerkrafttreten der Dienstvereinbarung fortgelten sollen. Eine darüber hinausgehende Nachwirkung ist ausgeschlossen."

Satz 1 entspricht dem bisherigen § 38 Absatz 4 MAVO. Dienstvereinbarungen in den Angelegenheiten des Absatzes 1 wirken im Falle einer Kündigung auf jeden Fall nach. Ist eine solche Dienstvereinbarung von vornherein befristet abgeschlossen, gibt es auch keine Nachwirkung.

Der sich auf die Dienstvereinbarung nach Absatz 2 beziehende Satz 2 sieht die Vereinbarung einer Fortgeltung für alle Fälle des Außerkrafttretens der Dienstvereinbarung vor, allerdings nur hinsichtlich in der Dienstvereinbarung "begründeter Rechte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter". Öffnungsklauseln in Arbeitsvertragsordnungen dienen dazu, nachteilige Dienstvereinbarungen zuzulassen. Aus dem Ordnungsprinzip und dem Regelungszusammenhang (wird keine Fortgeltung vereinbart, greift ja wieder die Rechtsnorm bzw. Arbeitsvertragsordnung vollumfänglich) folgt, dass nur über die Arbeitsvertragsordnung hinausgehende oder in ihr nicht verankerte Rechte gemeint sein können.

Wenn der Gesetzgeber formuliert, dass "Rechte" fortgelten können, ist hinsichtlich des Günstigkeitsverg gleiches wiederum auf die oben bereits erwähnte Entscheidung hinzuweisen. Nur sachlich zusammenhängende Arbeitsbedingungen können verglichen werden, eine Arbeitsplatzgarantie kann nicht mit einer Reduzierung des Beschäftigungsumfangs bzw. der Vergütung verglichen werden. In einer Dienstvereinbarung auf Grundlage von Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 könnten MAV und Dienstgeber also beispielsweise die Fortgeltung der Kündigungseinschränkung (Abschnitt XVI g AVR-Caritas Anlage 1) nach Ablauf der Dienstvereinbarung vereinbaren, nicht aber zugleich eine der in Abschnitt XVI Abs. c AVR-Caritas Anlage 1 vorgesehenen Verschlechterungen; diese sind nicht "Rechte" im Sinne des § 38 Absatz 5 Satz 2 MAVO.

 

6. Rückwirkende Inkraftsetzung

Der Verband der Diözesen Deutschlands hat empfohlen, diese MAVO -Änderung rückwirkend ab dem 1.1.1999 in der jeweiligen Bistums-MAVO umzusetzen. Dies wird auch so praktiziert. Das bedeutet, dass eine am Anfang des Jahres 1999 geschlossene Dienstvereinbarung auf Grundlage von Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1, in der der Beschäftigungsumfang um 10 % herabgesetzt wurde, die bisher mangels Rechtsgrundlage in der MAVO wegen Verstoß gegen § 48 MAVO gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nichtig war, nunmehr rückwirkend ab Januar 1999 geheilt wird. Wegen der Nichtigkeit der Dienstvereinbarung sind bis zum Tag der rückwirkenden Inkraftsetzung der MAVO -Änderung die monatlichen Vergütungsansprüche des Mitarbeiters in vollem Umfang entstanden und auch fällig geworden, innerhalb der Ausschlussfristen (§ 70 BAT, § 23 AVR-Caritas Allgemeiner Teil) konnte der Mitarbeiter die einbehaltenen 10 Prozent nachverlangen. Können durch die Inkraftsetzung der MAVO-Änderung irgendwann in der zweiten Hälfte des Jahres 1999 rückwirkend ab Januar 1999 diese Ansprüche wieder "einkassiert" werden?

 

6.1 Eingriff in entstandene Ansprüche?

Wir haben nicht die Situation, dass eine Arbeitsvertragsordnung durch rückwirkende Inkraftsetzung in entstandene Rechte von Mitarbeitern eingreift, Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 wurde ja bereits im Jahre 1 998 beschlossen und nach Inkraftsetzung durch die Bischöfe ab 1.1. 1 999 in Kraft gesetzt.

Gleichwohl soll der besonderen Bedeutung wegen auch auf die Frage eingegangen werden, ob durch rückwirkende 1 Inkraftsetzung von Arbeitsvertragsord nungen ein verschlechternden Eingriff in bereits entstandene Rechte der Mitarbeiter möglich wäre. Dies insbesondere deshalb, um die in einer rückwirkenden Verschlechterung enthaltene verfassungsrechtliche Problematik aufzuzeigen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in einer Entscheidung vom 23.11.1994 unter teilweiser Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung entschieden, dass tarifvertragliche Regelungen auch während der Laufzeit des Tarifvertrages den immanenten Vorbehalt ihrer rückwirkenden Abänderbarkeit durch Tarifvertrag in sich tragen und dass dies auch für bereits entstandene und fällig gewordene, noch nicht abgewickelte Ansprüche, die aus einer Tarifnorm folgen, gelte. Die Gestaltungsfreiheit der Tarifvertragsparteien zur rückwirkenden Änderung tarifvertraglicher Regelungen sei nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes der der Norm Unterworfenen begrenzt; es gelten insoweit die gleichen Regeln wie bei der Rückwirkung von Gesetzen.

In einer Entscheidung vom 20.4.1999 hat das Bundesarbeitsgericht abgesegnet, dass die Tarifvertragsparteien durch eine rückwirkende Tariföffnungsklausel eine Betriebsvereinbarung heilen können, die für den konkreten Betrieb die wöchentliche Arbeitszeit von tariflich 35 Wochenstunden auf 40 Wochenstunden bei gleich bleibender Vergütung heraufgesetzt hafte. Auch hier prüft das Bundesarbeitsgericht, ob den Mitarbeitern ein Vertrauensschutz zusteht. Im entschiedenen Fall traf dies nicht zu, da die tarifschließende Gewerkschaft ihren Mitgliedern frühzeitig mitgeteilt hatte, dass die Betriebsvereinbarung rückwirkend genehmigt werden solle.

Von Bedeutung für das Verständnis dieser beiden Entscheidungen ist, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber tarifgebunden waren, so dass in diesen Fällen die Tarifverträge gemäß § 4 Absatz 1 Tarifvertragsgesetz unmittelbar und zwingend (das heißt wie ein Gesetz) auf das Arbeitsvertragsverhältnis einwirken.

Die Eigentumsgarantie des Artikel 14 Grundgesetz umfaßt nicht nur das Eigentum im bürgerlich-rechtlichen Sinne (Sachen, Grundstücke usw.), sondern jedes private Vermögensrecht (Forderungen und anderes). Das Bundesarbeitsgericht hat in der Entscheidung (Urteil vom 23.11.1994, AP Nr. 12 zu § 1 TVG Rückwirkung) das Verhältnis zwischen der durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz garantierten Normsetzungsbefugnis der Tarifvertragsparteien und der Eigentumsgarantie des Artikel 14 Grundgesetz untersucht. Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts wäre der Ausschluss der Befugnis, bereits entstandene Ansprüche durch rückwirkende tarifvertragliche Regelungen herabzusetzen, ein Eingriff in die durch Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz geschützte Gestaltungsbefugnis der Tarifvertragsparteien (BAG, Urteil vom 23.11.1994, aaO, Blatt 1511, Rückseite). Das Bundesarbeitsgericht ist zu dem Ergebnis gekommen, dass wenn die Tarifvertragsparteien das über Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz geschützte Recht haben, eine Tarifnorm auch rückwirkend zu ändern, der aus der Tarifnorm erwachsene Einzelanspruch des tarifgebundenen Arbeitnehmers ebenfalls die Schwäche der rückwirkenden Abänderbarkeit in sich trage, also keine vorbehaltlos entstandene und fällige Forderung sei. Somit liege auch keine Enteignung im Sinne Artikel 14 Absatz 3 Grundgesetz vor.

Nach hiesiger Auffassung kann dies Ergebnis nicht auf die Regelungen in kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen übertragen werden. Die Kommissionen im Sinne des Artikels 7 der Grundordnung setzen sich nicht aus Koalitionen im Sinne des Artikels 9 Absatz 3 Grundgesetz zusammen; die Überlegung des Bundesarbeitsgerichts, der Ausschluss rückwirkender Verschlechterungen von Tarifverträgen sei ein Eingriff in die über Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz geschützte Gestaltungsbefugnis der Tarifvertragsparteien, lässt sich nicht übertragen. Der Versuch, eine im Verhältnis zum lndividualgrundrecht (Eigentumsgarantie, Art. 14 GG) ähnlich geschützte Gestaltungsbefugnis der Kommissionen unmittelbar aus Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 137 Weimarer Reichsverfassung (WRV) ableiten zu wollen, wird so lange und aus denselben Gründen zum Scheitern verurteilt sein, wie das Bundesarbeitsgericht Versuchen, aus Artikel 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137 WRV eine normative Wirkung der kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen abzuleiten, in ständiger Rechtsprechung eine Absage erteilt.

Die Geltung der kirchlichen Arbeitsvertragsordnungen wird allein durch die Einbeziehungsklausel im Arbeitsvertrag erreicht. Auch wenn man dem Gedankenmodell von Richardi, aufgenommen in der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 17.04.1996 folgt, dass nämlich die KODA / Arbeitsrechtliche Kommission Dritter im Sinne des § 317 BGB sei, ändert dies nichts daran, dass sie ihre Gestaltungsbefugnis für das Arbeitsverhältnis allein durch einen privatrechtlichen Gestaltungsakt (Abschluss eines Arbeitsvertrages mit Einbeziehungsklausel) erhält, nicht aber durch eine grundgesetzlich geschützte Position. Ein Hinweis darauf, dass die im Arbeitsvertrag in Bezug genommenen Arbeitsvertragsordnungen auch rückwirkend in die Vergangenheit hinein verschlechtert werden können, ist in keinem mir bekannten Arbeitsvertragsmuster enthalten; ein Mitarbeiter hat bei Unterschriftsleistung unter einem solchen Arbeitsvertrag sicher auch nicht die Vorstellung, Vertragsbedingungen könnten in die Vergangenheit hinein verschlechtert werden, im Gegenteil, dies würde er sich vermutlich ausdrücklich verbitten.

Eine rechtlich schützenswerte Befugnis der Kommission, auch in die Vergangenheit hinein Arbeitsvertragsordnungen zu verschlechtern, existiert nicht. Der aus einer Arbeitsvertragsordnung entstandene und fällige Anspruch eines Mitarbeiters leidet somit nicht unter der immanenten Schwäche der rückwirkenden Herabsetzung. Die Forderung auf die Vergütung entsteht monatlich, fällig wird sie am letzten Werktag (AVR-Caritas Anwendungsbereich) bzw. am 15. des Kalendermonats (BAT-Anwendungsbereich). Diese Forderung fällt in den Schutzbereich des Artikel 1 4 Grundgesetz.

Durch rückwirkende Inkraftsetzung einer kirchlichen Arbeitsvertragsordnung können entstandene und fällige, gar bereits ausbezahlte Ansprüche im Gegensatz zum Tarifvertragsbereich nicht rückwirkend herabgesetzt werden.

 

6.2 Rückwirkende Änderung der MAVO

Durch die rückwirkende Inkraftsetzung der MAVO-Änderung ab 1.1.1999 will erreicht werden, dass die Nichtigkeit der vor dem lnkraftsetzungstermin bereits abgeschlossenen Dienstvereinbarungen, z. B. nach Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1, rückwirkend geheilt wird. Nach Abschnitt XVI Abs. g AVR-Caritas Anlage 1 darf während der Laufzeit einer solchen Dienstvereinbarung den betroffenen Mitarbeitern ohne Zustimmung der Mitarbeitervertretung nicht betriebsbedingt gekündigt werden, es sei denn, die Schließung der Einrichtung oder wesentlicher Teile ist wider Erwarten nicht zu vermeiden. In dieser Formulierung ("Zustimmung" bei Kündigung) ist keine Änderung der MAVO (§ 30 MAVO ist bekanntlich ein Anhörungs- und Mitberatungstatbestand) zu sehen, die Arbeitsrechtliche Kommission setzt vielmehr die Mitarbeitervertretung als ihren Regelungsgehilfen ein, indem ein Abweichen von der in der Arbeitsvertragsordnung vorgeschriebenen Kündigungseinschränkung materiellrechtlich an die Unvermeidbarkeit der Schließung der Einrichtung oder eines wesentlichen Teils und an die Zustimmung der MAV geknüpft wird. Durch Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 wird also keineswegs § 30 MAVO geändert, die Arbeitsrechtliche Kommission hätte ein Abweichen von der Kündigungseinschränkung genauso an die Zustimmung beispielsweise des Leiters des örtlichen Arbeitsgerichts oder Arbeitsamtes knüpfen können. Voraussetzung für ein Tätigwerden in diesem Sinne ist ja die durch einen Wirtschaftsprüfer festgestellte wirtschaftliche Notsituation der Einrichtung. Damit lässt sich diese Tätigkeit der MAV mitarbeitervertretungsrechtlich sicherlich unter der Generalklausel des § 26 Abs. 1 MAVO subsumieren. Das Problem der rückwirkenden MAVO-Änderung liegt auf anderer Ebene: "Auch können Mitbestimmungsbefugnisse nicht rückwirkend erweitert werden, da der Arbeitgeber das Mitbestimmungsverfahren nur nach dem zum Zeitpunkt der Durchführung der Maßnahme bestehenden Recht abwickeln kann. Can. 9 CIC bestimmt für kirchliche Gesetze, wie z. B. die MAVO: Gesetze betreffen Zukünftiges, nicht das in der Vergangenheit Geschehene, wenn nicht eigens in ihnen über Vergangenes etwas vorgesehen ist.

Nach der Kommentar-Meinung) zu dieser Vorschrift des CIC ist "rechtslogisch schlechthin ausgeschlossen, dass ein neues Gesetz Geschehenes ungeschehen macht, eine nach altem Recht erlaubt abgeschlossene Rechtshandlung für rechtswidrig oder unwirksam erklärt, Verpflichtungen begründet, die schon vor seinem In-Kraft-Treten hätten erfüllt werden sollen".

Ein Beispiel, was die rückwirkende Heilung der Dienstvereinbarung bedeuten kann: In einer Einrichtung wurde im Januar 7999 eine Dienstvereinbarung auf Grundlage Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 7 abgeschlossen. Gleichwohl hört der Dienstgeber die MAV zu einer betriebsbedingten Kündigung im März 7999 an, ohne dass die Einrichtung oder ein wesentlicher Teil geschlossen werden muss; er weist auf die Nichtigkeit der Dienstvereinbarung im Zeitpunkt März 7999 wegen Verstoß gegen § 48 MAVO hin. Zu unterstellen ist, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen für die betriebsbedingte Kündigung eines einzelnen Mitarbeiters vorliegen, eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit nicht vorliegt und auch die Sozialauswahl zutreffend vorgenommen wurde.

Da die Kündigungsbeschränkung des Abschnitts XVI Abs. g AVR-Caritas Anlage 1 ausdrücklich an die Laufzeit der Dienstvereinbarung anknüpft, eine wirksame Dienstvereinbarung im März 1 999 jedoch wegen Nichtigkeit nicht vorhanden ist, kann die MAV sich im März 1999 nicht gemäß § 30 Absatz 3 Nr. 1 MAVO darauf berufen, die beabsichtigte Kündigung verstoße gegen die Kündigungseinschränkung des Abschnitt XVI g AVR-Caritas Anlage 1. Eine Regelungsabrede, an deren Zulässigkeit ebenfalls Bedenken bestehen, löst nach dem klaren Wortlaut die Kündigungseinschränkung nicht aus. Da auch der Dienstgeber aufgrund nichtiger Dienstvereinbarung nicht von der Verpflichtung zur Zahlung der vollen Vergütung frei wird, kann sich die MAV auch nicht auf Verletzung "sonstigen geltenden Rechts" im Sinne des § 30 Absatz 3 Nr.1 MAVO berufen, hier auf das Verbot des venire contra factum proprium" (Grundsatz, wonach es gegen Treu und Glauben verstößt, sich zu einem früheren, für den Anspruchsgegner relevanten Verhalten in Widerspruch zu setzen). Ergebnis ist, dass die MAV im März 1999 wegen Nichtigkeit der Dienstvereinbarung wohl keine Möglichkeit gehabt hätte, der beabsichtigten Kündigung zu widersprechen.

Ganz anders bei rückwirkender Inkraftsetzung dieser MAVO-Änderung. Die Nichtigkeit der Dienstvereinbarung wird rückwirkend geheilt; hätte die neue MAVO bereits im März gegolten, hätte die MAV einwenden können, dass die beabsichtigte Kündigung gegen "kircheneigene Ordnungen" verstößt, nämlich die Kündigungseinschränkung in Abschnitt XVI Abs. g AVR-Caritas Anlage 1, weil weder die Schließung der Einrichtung noch eines wesentlichen Teils unvermeidbar ist und die MAV insoweit als Regelungsgehilfe der Arbeitsrechtlichen Kommission die Zustimmung verweigert. Dieser in der Vergangenheit, im März, abgeschlossene Lebenssachverhalt ist durch die rückwirkende Inkraftsetzung rechtlich ganz anders zu beurteilen, was sowohl nach CIC als auch nach weltlichem Recht nicht möglich ist. Nachdem angesichts der hohen Messlatte, die die Arbeitsrechtliche Kommission vor den Abschluss einer solchen Dienstvereinbarung nach Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 gesetzt hat, es wohl kaum Dienstvereinbarungen auf dieser Grundlage bisher gibt, dem Unterzeichner ist keine einzige bekannt, bestand auch keine Not, diese Rechtsänderung rückwirkend ab 1.1.1999 in Kraft zu setzen; rechtlich ist das jedenfalls außerordentlich bedenklich.

Wesentlich häufiger als Dienstvereinbarungen nach Abschnitt XVI AVR-Caritas Anlage 1 dürften Dienstvereinbarungen gemäß Anlage Sb AVR-Caritas (Mobilzeit) sein, die ab 1.1.1998 möglich sind. Einige der Dienstvereinbarung dort eingeräumte Möglichkeiten, z. B. die Faktorisierung der Zeitgutschriften (§ 4 AVR-Caritas Anlage Sb), waren nach der bisherigen Fassung des § 38 MAVO unzulässig. Sie lassen sich nicht unter die in § 38 Absatz 1 Nr. 1 MAVO aufgeführten Tatbestandsmerkmale subsumieren, eine MAV-Zuständigkeit für Regelungen zur betrieblichen Lohngestaltung existiert in der MAVO im Gegensatz zum Betriebsverfassungsgesetz nicht. Die Inkraftsetzung der MAVO-Änderung rückwirkend zum 1.1.1999 führt bezüglich der noch im Jahre 1998 abgeschlossenen Dienstvereinbarungen nach AVR-Caritas Anlage 5b, soweit sie von der Möglichkeit der Faktorisierung in § 4 AVR-Caritas Anlage 5b Gebrauch gemacht haben, zu der absurden Situation, dass diese Dienstvereinbarungen bis zum 31.12.1998 weiterhin nichtig bleiben und erst ab 1.1.1999 geheilt sind.