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Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit

 

Entwurf 28.08.1996 (Auszug)

 

6. AUFGABEN FÜR DIE KIRCHEN

(191) Gottes Nähe bei den Menschen können die Kirchen nur glaubwürdig verkündigen, wenn sie selbst nach Wegen suchen, um in ihrem eigenen Bereich das umzusetzen, was an Leitbildern, Orientierungen und Forderungen im Mittelpunkt dieses Gemeinsamen Wortes steht. Die Leitbilder "Solidarität", "Gerechtigkeit" und "Nachhaltigkeit" sind nicht nur Ausdruck zentraler Grundgedanken des christlichen Glaubens, sie stehen auch in einem engen Zusammenhang mit dem Selbstverständnis der Kirche als einer "Kirche für andere" (D. Bonhoeffer), einer Gemeinschaft der Liebe zu den Mitchristen und zu den Nächsten, einer Gemeinschaft des Miteinanders und der Teilhabe, sowie einer Gemeinschaft der Verantwortung für Gottes Schöpfung.

(192) Mit ihren Traditionen, mit ihren Diensten, mit ihrem vielfältigen Engagement und mit ihrer Ethik verfügen die Kirchen bereits über einen reichen Schatz. Die sozialengagierte, die caritative, die politisch mitverantwortende Kirche muß nicht erst geschaffen werden, sie ist da und sie kann ihren Dienst weiter entfalten und sich selbst erneuern. Hier ist an die vielen guten und bewährten Dienste in den Gemeinden, in Kirchenkreisen, Diözesen, Diakonie und Caritas zu erinnern, an die sozialethischen Arbeitskreise, die Akademien, die Verbände, die engagierten Gruppen und Kooperativen, die zahllosen Projekte. Deshalb haben sich auch viele haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie engagierte Laien in dieser kirchlichen Arbeit am Konsultationsprozeß der Kirchen beteiligt und in ausführlichen Stellungnahmen auf die Aufgabe ihrer Kirchen, für eine solidarischere und gerechtere Zukunft einzutreten, hingewiesen. So hat der Konsultationsprozeß nicht nur Defizite und Aufgaben deutlich gemacht, sondern er ist ein Zeugnis für die Lebendigkeit und das Engagement der Kirchen.

(193) Zur notwendigen Selbstbesinnung auf ihre Aufgaben und Möglichkeiten gehört aber auch die Selbstkritik. In kritischer Selbstwahrnehmung und in der Reaktion auf kritische Anfragen von außen müssen die Kirchen sich auch selbst fragen, ob die in ihnen herrschenden Strukturen und Mentalitäten den anstehenden Aufgaben förderlich oder hemmend sind. Die Kirchen können auch nicht von der Frage absehen, inwiefern sie selbst zur Verschärfung der gesellschaftlichen Problemlagen beitragen, die sie zugleich mit guten Gründen beklagen.

(194) Solidarität: Den christlichen Glauben leben bedeutet, für mehr Solidarität, Mitmenschlichkeit, Nächstenliebe und Barmherzigkeit einzutreten. Dieses Engagement ist eine genuine Lebensäußerung der Kirche. Nur eine Kirche, in der Liebe zu Gott und den Mitmenschen gelebt wird, ist eine glaubwürdige Kirche. Wahrnehmungsfähigkeit und Wahrnehmungsbereitschaft spielen hier eine wichtige Rolle. Menschen, die unter Arbeitslosigkeit oder Armut leiden, leben oft mitten in der Gesellschaft an der Peripherie. Nur wenn nicht unmittelbar Betroffene eine entsprechende Wahrnehmungsbereitschaft entwickeln, setzt ein Prozeß des Verstehens ein. Deshalb kommt den freien Initiativen mit Arbeitslosen, Armen und sozial Schwachen besondere Bedeutung zu. Es ist wichtig, daß Kirchengemeinden mit Hilfe solcher Initiativen die sie umgebende soziale Wirklichkeit wahrnehmen und den sozial Benachteiligten in ihrer eigenen Mitte Aufmerksamkeit schenken. Diakonie- und Caritasarbeitskreise, Besuchsdienstkreise und Treffpunkte für Arbeitslose sind Ansatzpunkte dafür, die soziale Kompetenz der Gemeinden zu erhöhen. Gemeindlich unterstützte Initiativen von Arbeitslosen und Gemeindeinitiativen mit Arbeitslosen haben sich an vielen Orten gebildet. Viele Gemeinden haben sich (oft im Zusammenwirken mit Diakonie und Caritas) der Obdachlosenarbeit geöffnet.

(195) In dem Maß, in dem Kirchengemeinden, kirchliche Gruppen und Einrichtungen eine Sensibilität für gesellschaftliche Verwerfungen und Randständigkeiten entwickeln, können sie die gesellschaftliche Öffentlichkeit und die politischen Entscheidungsorgane auf sie aufmerksam machen. Der Konsultationsprozeß hat in dieser Hinsicht viele Gemeinden bewußter gemacht im Blick auf die sozialen Probleme in ihrem eigenen Bereich und im Blick auf die wirtschaftliche gesamtgesellschaftliche Verantwortung. Es ist wichtig, daß die Gemeinden die Arbeitslosen und die Notleidenden in ihren eigenen Reihen kennen, Diakoniearbeitskreise und Besuchsdienstkreise unterhalten, soziale und wirtschaftliche Fragen in ihren Kreisen diskutieren.

(196) Hier läßt sich in breitem Maße auf Bestehendem aufbauen. In vielfältiger Gestalt gibt es kirchlich getragene soziale Betriebe, Jugendwerkstätten, Baugruppen zur Renovierung von Sozialwohnungen oder Jugendheimen, Projekte "Neue Arbeit", Stadtteilarbeit, Treffpunkte für Angehörige verschiedener Generationen oder Initiativen, die den Strukturwandel in einer Region sozialethisch begleiten. Mit sozialer Phantasie, Ideenreichtum, Experimentierfreude und beharrlicher Arbeit können neue und hilfreiche Ansätze angestoßen und neue Modelle (auch im Zusammenwirken mit nichtkirchlichen Trägern, wie dies an vielen Stellen geschieht) erprobt werden. Diese Art des kirchlichen Engagements sollte weiterhin verstärkt werden. Die bestehenden Initiativen können zur Nachahmung anregen. Gemeinden, Kirchenkreise, kirchliche Werke und soziale Einrichtungen sollten lokale Beschäftigungsinitiativen verstärkt fördern und selbst als Beschäftigungsträger tätig werden.

(197) Gerechtigkeit: Beteiligungsgerechtigkeit in der Kirche bedeutet Beteiligung der einzelnen an den Aufgaben und der Mitverantwortung im Dienst der Kirche, Beteiligung an den zu tragenden Lasten und Pflichten und Beteiligung an Chancen und Möglichkeiten. Das kirchliche Engagement für die Beteiligungsgerechtigkeit in außerkirchlichen gesellschaftlichen Bereichen muß auch im innerkirchlichen Bereich seine Entsprechung finden, wenn die Kirche überzeugend wirken will.

(198) Das gilt zunächst für die regulären Beschäftigungsverhältnisse in der Kirche und die mit ihnen verbundenen Rechte der Mitarbeitervertretungen und arbeitsrechtlichen Kommissionen. Den Grundsatz der Gleichstellung von Frauen und Männern gilt es in besonderem Maß zu bedenken. Hier ist zu denken an die Einbeziehung von Frauen in die Mitverantwortung, an Frauenförderpläne und an die Berücksichtigung frauenspezifischer Lebenslagen. Modelle einer intelligenten, aber tarifgerechten Arbeitszeitflexibilisierung sollten vorangetrieben werden. In diesem Zusammenhang müssen auch leitende kirchliche Mitarbeiterinnen und insbesondere Mitarbeiter lernen, ihre Arbeitsplätze mit anderen Kolleginnen und Kollegen zu teilen. Besondere Beachtung verdienen Vorschläge, die auf maßvolle Gehaltskurzungen bei kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den mittleren und oberen Gehaltsgruppen zielen. In den östlichen Gliedkirchen der EKD wird vorgeschlagen, freiwillig auf eine Anhebung der Gehälter auf Westniveau zu verzichten und die entsprechenden Beträge in einen Fonds einzuzahlen. Ein solcher Fonds soll für die Armutshilfe in Deutschland, für Unterstützungszahlungen nach Osteuropa und für Hilfsprojekte in den südlichen Ländern der Erde genutzt werden. In dieser oder ähnlicher Weise können neue Modelle des Teilens erprobt werden.

(199) Die Gehaltsunterschiede in der Kirche sollten maßvoll sein und davon zeugen, daß die Kirche eine besondere Gemeinschaft ist, die nicht in allen Dingen die Welt nachahmt. Immer wieder wurde in den Eingaben zum Konsultationsprozeß die Abschaffung geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse in der Kirche gefordert. Einschränkungen in einer Zeit der geringeren Einkünfte sollte von allen in gleicher Weise hingenommen werden und nicht einfach nur auf besondere Schwerpunkte beschränkt sein. Die Finanzkrise der Kirche kann auch eine Chance sein, um die Besonderheit eines geschwisterlichen Miteinanders, das vom Glauben an Gottes Gerechtigkeit und Liebe geprägt ist, deutlich zu machen.

(200) Verantwortliches Handeln ist dort besonders gefordert, wo einschneidende Sparmaßnahmen unausweichlich sind. Hier muß gelten, daß dem Teilen von Arbeit der Vorrang vor dem Abbau von Stellen und vor Entlassungen zukommt. Ist in einer kirchlichen Einrichtung ein Stellenabbau unvermeidlich, so ist in Abstimmung mit der Mitarbeitervertretung für die Betroffenen ein Sozialplan zu erstellen. Gleichwohl: Entlassungen aufgrund einer prekären Haushaltslage mögen betriebswirtschaftlich begründet sein, ein Zeichen für nicht gelingende Solidarität und Beteiligungsgerechtigkeit in der Kirche sind sie letzten Endes doch.

(201) Für die Kirchen gehört auch der Umgang mit dem eigenen Vermögen in den Zusammenhang der Beteiligungsgerechtigkeit. Im Konsultationsprozeß wurde vielfach Transparenz in diesem Bereich eingefordert. Eine offene Diskussion über einen ethisch gerechtfertigten Umgang mit kirchlichem Vermögen setzt Klarheit über Umfang und Verwendung dieses Vermögens voraus. Inwieweit die Veräußerung von Teilen des Vermögens oder seine Vergabe in Erbpacht für die Finanzierung vordringlicher kirchlicher Aufgaben herangezogen werden können, muß genau geprüft werden; der Konsultationsprozeß hat gezeigt, daß solche Fragen nicht ausgeblendet werden können. Dasselbe gilt für die Mehrfachnutzung kirchlicher Räume und die Vergabe ungenutzter Räume an gemeinnützige Einrichtungen oder sozial förderungswürdige private Nutzer. Auch die kirchlichen Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungsunternehmen treten in den Blick, denn sie tragen für die Wohnungsversorgung von Menschen, die von Armut und Wohnungsnot besonders betroffen sind, eine besondere Verantwortung.

(202) Der Grundsatz der Beteiligung setzt auf das gemeinsame Wahrnehmen von Verantwortung. Nicht nur in der Kirche selbst soll Verantwortung gemeinsam wahrgenommen werden, sondern die Kirche sollte sich auch an gesellschaftspolitischen Initiativen, bei denen es um Kernfragen des Miteinanders geht, beteiligen. Mit Erfolg haben manche Gemeinden, Kirchenkreise und Diözesen Runde Tische sozialer Verantwortung ins Leben gerufen. In solchen Initiativen wird versucht, das Gespräch zwischen Vertretern und Vertreterinnen aus Kommunen, Ämtern und Frauenbeauftragten, Sozialbehörden, Arbeitsverwaltungen, Kammern und Betrieben, Gewerkschaften und Medien über die sozialen Probleme vor Ort anzustoßen. "Runde Tische" bewahren sich in solchen Fällen, weil sie das Bewußtsein stärken, daß regionale Probleme wirtschaftlicher und sozialer Art nur gemeinsam bewältigt werden können. Sie sind ein wertvoller Beitrag zur Dialogkultur und zum gesellschaftlichen Miteinander.

(203) Nachhaltigkeit: Das Leitbild der Nachhaltigkeit schließt umweltverträgliches und zukunftsfähiges Wirtschaften ein. Bei Bauvorhaben und bei der Bewirtschaftung kirchlicher Einrichtungen ist deshalb darauf zu achten, daß die außermenschliche Schöpfung so wenig wie möglich belastet wird. Wenn die Kirchen fordern, um der Verantwortung gegenüber der Mitwelt wie gegenüber den nachfolgenden Generationen willen zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise überzugehen, müssen sie im eigenen Bereich damit beginnen.

(204) Dies betrifft nicht nur umweltverträgliches und zukunftsfähiges Bauen im kirchlichen Bereich, nicht nur Fragen des Energieverbrauchs in der Kirche und umweltgerechter Praxis. Es geht auch um Fragen eines neuen Lebensstils, der gerade in Kirchen und Gemeinden versucht und erprobt sowie zeichenhaft gelebt werden kann. Einzelne und Gruppen, die hier neue Ansätze versuchen, können (ggf im Zusammenwirken mit außerkirchlichen Gruppen) Möglichkeiten und Wege aufzeigen, wie übertriebene Konsummentalität, Wegwerfdenken, extensive Mobilität, unbedachter Verbrauch von Ressourcen, Verschwendung und das Schaffen von Belastungen abgebaut werden können. Anknüpfend an asketischen Traditionen in den Kirchen können Ansätze einer Kultur der Bescheidenheit und der Naturverträglichkeit entwickelt werden, die plausibel wirken und praktikabel sind und eine überzeugende Alternative zu bestehenden Lebensmustern sein können. Ein neuer Lebensstil betrifft auch das soziale Verhalten, die Veränderung von Einstellungen und Maßstäben. Hier geht es um eine Umkehr im biblischen Sinn, nämlich eine "Metanoia", dh. um ein "Umdenken", eine Veränderung des Denkens. Wichtig ist hierbei, daß Menschen für Veränderungen zu unternehmen, und nicht, daß hohe oder allzuhohe Forderungen erhoben werden, die wenig einladend sind und letztlich viele abhalten, erste Schritte zu einem verantwortungsbewußteren Lebensstil gewonnen werden. Wichtig ist außerdem, daß bei Eintreten für einen neuen Lebensstil deutlich ist, daß vielen Menschen im Lande Einschränkungen und Grenzen aufgrund gesellschaftlicher Benachteiligungen in einer oft unerträglichen Weise aufgezwungen sind.

(205) Kirche in der Gesellschaft: Kirchengemeinden und kirchliche Gruppen haben besondere Möglichkeiten, aus eigener Arbeit heraus wichtige Impulse in die Diskussion der gesellschaftlichen Öffentlichkeit hinein zu vermitteln. Deshalb müssen das Nachdenken über die soziale Situation und das Engagement in ihr fortgesetzt werden. Das "Gemeinsame Wort" soll dafür eine Orientierungshilfe sein. Es soll den Konsultationsprozeß nicht abschließen, sondern weitere Schritte ermöglichen. Alle Gemeinden, kirchlichen Gruppen. und Einrichtungen rufen wir dazu auf, sich am Konziliaren Prozeß für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung zu beteiligen und sich dabei mit der wirtschaftlichen und sozialen Lage in unserer Gesellschaft engagiert auseinanderzusetzen.

(206) Zu den Konsequenzen, die aus den Kerngedanken dieses Gemeinsamen Wortes von Seiten der Kirchen zu ziehen sind, gehört das Bewußtwerden um den Auftrag für die Gesellschaft. Die Kirchen sind mehr als "Sinnagenturen", mehr als Einrichtungen für religiöse Belange und mehr als nur soziale Dienstleistungsunternehmen. Sie sind Gemeinschaften von Christen, die im Alltag der Welt ihr Leben in der Verantwortung vor Gott führen wollen und aus ihrem christlichen Glauben heraus einen wertvollen Beitrag für eine solidarischere Gesellschaft, für mehr Beteiligungsgerechtigkeit und für mehr Nachhaltigkeit und Schöpfungsverantwortung leisten können.

(207) Das Sich-Bekennen zur gesellschaftlichen, zur wirtschaftlichen, zur politischen und zur ökologischen Mitverantwortung läßt sich nicht trennen von dem Bekenntnis der Christen zu dem Gott des Lebens der einen Bund mit den Menschen geschlossen hat.. Christen dürfen nicht schweigen, wenn sie beobachten, daß Menschen benachteiligt und ausgegrenzt, bewährte Ordnungen ausgehöhlt und (...) Natur oder Sozialkultur gefährdet werden. Sie müssen sich beteiligen am gemeinsamen Nachdenken in der Gesellschaft über die herausragenden Zukunftsaufgaben, mit anderen gesellschaftlichen Kräften und Gruppen zusammenwirken und dabei ihre eigene, spezifisch christliche und kirchliche Rolle finden. Und sie müssen auch klar Position beziehen, wenn die Menschlichkeit und Menschenwürde sowie wertvolle Güter und Grundwerte gefährdet sind. Die Kirchen können zur Meinungsbildung und Bewußtseinsbildung in der Gesellschaft beitragen, sie können helfen, Tabus zu brechen, und sie können umgekehrt auch tabuisieren, wo Gefährdetes geschützt werden muß. Der Konsultationsprozeß der Kirchen kann ein Anfang sein auf einem Weg zu einem neuen Zusammenwirken in den Kirchen.

(208) Entscheidend ist das Gebet. Darin wenden sich die Christen an Gott, den Schöpfer und Herrn über die Geschichte. Von ihm erbitten sie Kraft für ihren Dienst. Aus dem Vertrauen zu dem barmherzigen und gnädigen Gott und aus dem Vertrauen auf seine Verheißungen kann Zuversicht wachsen, daß eine solidarischere und gerechtere Zukunft möglich ist.