Presseinformation der
WOHLFAHRTSPFLEGE IN BADEN-WÜRTTEMBERG
Stuttgart, 26.11.2002
Kürzungen des Landes bedeuten für viele soziale
Dienste das Aus
Rund 800 Stellen sind bedroht
Erste Kündigungen noch vor Weihnachten
Folgen für Hilfebedürftige sind katastrophal
Die geplanten Kürzungen des Landes bedeuten für viele soziale
Dienste das endgültige Aus. Betroffen sind Hilfen für Arbeitslose,
ambulante Betreuung für psychisch Kranke, Beratung und Begleitung
von Migranten sowie die Betreuung von Jugendlichen in der Ausbildung.
Nach ersten Schätzungen der Liga der freien Wohlfahrtspflege sind
davon rund 800 Stellen in Baden-Württemberg betroffen. Manche Dienste
müssen ganz eingestellt werden, andere können nur noch eingeschränkt
angeboten werden. Die Folgen für Hilfesuchende sind katastrophal.
Migranten, Langzeitarbeitslose und psychisch Kranke werden teilweise
ganz ohne Beratung oder ambulante Betreuung sein.
Die Kosten für die "Abwicklung" der Dienste wird zumindest
im ersten Jahr teurer als der Einsparbetrag. Es ist unklar, wer diese
Kosten übernimmt. "Das Vorgehen des Landes ist aus Sicht der
Liga nicht nachvollziehbar. Das Land ist kein verlässlicher Partner
mehr bei der Gestaltung der sozialen Landschaft in Baden-Württemberg",
so Reinhold Schimkowski, Vorsitzender der Liga der freien Wohlfahrtspflege.
Die Kürzungen von rund neun Millionen Euro im Sozialhaushalt des
Landes wurden inzwischen von den Mehrheitsfraktionen des Landes beschlossen.
Weitere zwei Millionen sollen noch folgen. Der größte Betrag
mit rund 2,5 Millionen Euro wurde für die Unterstützung der
Arbeitsloseninitiativen gestrichen. Damit wird die Förderung des
Landes für diesen Bereich vollkommen eingestellt. Da bereits in
diesem Jahr große Kürzungen wirksam wurden, sind jetzt schon
viele der rund 110 Beschäftigungs-, Vermittlungs- und Qualifizierungsinitiativen
in Finanzschwierigkeiten. Es ist fraglich, wie viele der rund 7.000
Langzeitarbeitslosen und Arbeitslosen mit mehreren Vermittlungshemmnisse
in den Einrichtungen der freien Wohlfahrt noch weiter beschäftigt
und qualifiziert werden können. Regiepersonal muss abgebaut, Teileinrichtungen
müssen geschlossen werden, weitere Sozialunternehmen werden in
die Insolvenz getrieben. "Damit hat die Landesregierung klar gemacht,
dass für sie Arbeitsmarktpolitik nachrangig ist. Da die Arbeitslosen
in diesen Initiativen auch vom Hartz-Konzept nicht profitieren werden,
werden die Kommunen eine große Zahl von unbeschäftigten Armen
versorgen müssen", so der Liga-Vorsitzende.
Die Förderung des Sozialdienstes für Ausländer wird
ebenfalls ganz eingestellt und somit rund 1,55 Millionen Euro eingespart.
Da der Bund in der Regel diese Dienste nur dann finanziell unterstützt,
wenn auch das Land fördert, sind im nächsten Jahr auch die
2,6 Millionen Euro Bundesmittel gefährdet. Noch in der Regierungserklärung
vom 7. März dieses Jahres hat Ministerpräsident Teufel die
Integration von Ausländern und Spätaussiedlern zu den "Schwerpunkten
unserer Regierungsarbeit" erklärt. Nun wird die Förderung
der Hilfen für die Integration praktisch ganz eingestellt, da auch
im Haushalt des Innenministeriums 10 Millionen Euro bei der Flüchtlings-
und Spätaussiedlerarbeit eingespart werden sollen. Über 130
Stellen sind allein beim Sozialdienst für Ausländer bedroht,
weitere bei der Betreuung von Flüchtlingen und Aussiedlern. Es
trifft nicht nur die Migranten, die bereits jetzt hier leben. Wenn nun
das Zuwanderungsgesetz im Januar in Kraft tritt, werden keine Dienste
mehr zur Verfügung stehen, die diese bei den Integrationsbemühungen
unterstützen. Der Liga-Vorstand befürchtet, dass "jetzt
bewährte Strukturen zerstört werden, die dann im Laufe der
nächsten Jahre wieder mühsam und mit hohem finanziellen Aufwand
aufgebaut werden müssen".
Die Förderung der ambulanten Betreuung von chronisch psychisch
Kranken durch die "Sozialpsychiatrischen Dienste" wird um
die Hälfte auf rund zwei Millionen Euro reduziert. Von den 300
Mitarbeitenden in den 65 Sozialpsychiatrischen Dienste der freien Wohlfahrtspflege
werden jährlich 20.000 psychisch kranke Menschen begleitet. Durch
diese Dienste konnte der Klinikaufenthalt um mehr als 50 Prozent verringert
werden. Da bereits im Juli die Krankenkassen aus der Regelfinanzierung
ausgestiegen sind und das Land seit Jahren keine Kostensteigerungen
mehr ausgeglichen hat, liegt der Eigenanteil der Träger jetzt schon
bei 35 bis 42 Prozent. Durch die geplanten Einsparungen wird er um mindestens
weitere 18 Prozent steigen. Das bedeutet, dass manche Dienste ganz geschlossen,
andere zumindest auf die Hälfte reduziert werden. Das bedeutet
langfristig das Ende der ambulanten Betreuung der rund 20.000 psychisch
kranken Menschen und die Bedrohung von rund 300 Stellen. Die Folge ist,
dass die Zahl der Klinikaufenthalte und damit die Kosten zunehmen werden.
"Das Land hat all die Jahre verkündet, dass die ambulanten
Hilfen Vorrang haben. Durch die Kürzungen erreicht sie genau das
Gegenteil", betont Reinhold Schimkowski.
Außerdem wird die finanzielle Förderung (2,13 Millionen
Euro) der pädagogischen Betreuung in Jugendwohnheimen ganz eingestellt.
Dies trifft oft benachteiligte Jugendlichen, die während der Ausbildung
in Wohnheimen leben und dort betreut werden. Rund 6.000 Jugendliche
haben hier eine verlässliche Unterkunft außerhalb des Elternhauses.
Rund 60 Stellen sind hier bedroht. Zusätzlich sind noch einige
weitere kleinere Kürzungen geplant. Unklar ist, wer die Kosten
bezahlt, die durch die Einstellung der Maßnahmen entstehen. Denn
den betroffenen Mitarbeitenden kann nicht von heute auf morgen gekündigt
werden, teilweise müssen Abfindungen bezahlt werden. Erste Schätzungen
der Liga ergeben, dass die Beendigung der Maßnahmen zumindest
im ersten Jahr teurer ist als der Sparbetrag selbst. "Wer diese
Kosten übernimmt, ist bisher völlig ungeklärt. Bereits
vor Weihnachten müssen voraussichtlich die ersten Kündigungen
ausgesprochen werden, um die eine oder andere Maßnahme wenigstens
im ersten Halbjahr 2003 beenden zu können." Der Ligavorsitzende
hält deshalb "die Kürzungen des Landes für katastrophal.
Die soziale Landschaft in Baden-Württemberg wird sich entscheidend
verändern. Die langfristigen Folgen sind nicht absehbar. Die Liga
erkennt die Bemühungen des Sozialministeriums an, weitere Kürzungen
zu verhindern. Sie befürchtet allerdings, dass die jetzt geplanten
Kürzungen für das Jahr 2003 einen Einstieg in weitere Kürzungen
bedeuten. Bewährte Hilfesysteme werden dadurch abgebaut. Die Liga
weist mit Nachdruck auf die katastrophalen Konsequenzen für die
Betroffenen hin".