Novellierung der Mitarbeitervertretungsordnung
Sehr geehrter Herr Kardinal,
Das kirchliche Mitbestimmungsrecht (MAVO) wird derzeit novelliert.
Es muss den Erfordernissen der europäischen Gesetzgebung und den
rapiden wirtschaftlichen Veränderungen caritativer Einrichtungen
angepasst werden.
Der Verwaltungsrat des Verbandes hat sich in diesem Jahr in zwei Sitzungen
mit der Thematik befasst. Er hat die Personalwesenkommission mit der
Weiterarbeit beauftragt. Diese hat eine Projektsteuerungsgruppe gebildet,
der Prof. Dr. Thüsing als Experte zur Verfügung steht.
Die Projektsteuergruppe hat nun ein Eckpunktepapier erarbeitet, deren
Inhalte Prof. Dr. Thü-sing maßgeblich und federführend
ausgestaltet hat. Dieses Eckpunktepapier liegt den HH Generalvikaren
der Diözesen zur Stellungnahme vor, das Ergebnis dieser Anhörung
mündet in einen Referentenentwurf im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses.
Die Mitarbeiterseite ist mit der Erwartung in das Verfahren gegangen,
dass nach Verabschie-dung des neuen Betriebsverfassungsgesetzes auch
im kirchlichen Bereich ein Ausgleich zwischen den Interessen der Dienstgeber
und der Beschäftigten stattfindet.
Es geht hier vorrangig um den caritativen Bereich, der unter marktwirtschaftlichen
Bedingungen arbeitet; dem verfasst kirchlichen Bereich kommt in diesem
Zusammenhang eine geringere Bedeutung zu. Das Eckpunktepapier ist vom
grundsätzlichen Duktus der Argumentation her unserer Erwartung
leider in keiner Weise gerecht geworden.
Erlauben Sie, Ihnen dies als Vorsitzendem des neutralen Gesetzgebergremiums
zu begründen.
Das Eckpunktepapier suggeriert, dass auch im Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes
(BetrVG) die wirtschaftliche Mitbestimmung in Einrichtungen mit Tendenzschutz
"verboten" sei. Dies ist sachlich falsch. Vielmehr hat die
Kirche hier einen Gestaltungsspielraum, den sie auch in Tendenzbetrieben
auf der Grundlage der Dienstgemeinschaft für ein besseres und der
Kirche angemessenes Mitbestimmungsrecht nutzen kann. Wenn in dem Papier
argumentiert wird, dass es der kirchlichen Autonomie widerspreche, "sich
noch engere Regelungen aufzuerlegen als solche, die gelten würden,
wenn die kirchlichen Einrichtungen vom BetrVG erfasst wären",
dokumentiert dies Unkenntnis der Eigenart des kirchlichen Dienstes.
Die Argumentation aus juristischer Sicht ist unausgewogen, die Konsequenzen
einer theologischen Bewertung des Begriffes der Dienstgemeinschaft fehlen
gänzlich. Das Papier offenbart in weiten Passagen eine tendenziös
einseitige Argumentation, die die von uns erwartete Neutralität
des Verfassers wie der Projektsteuergruppe im Gesetzgebungsverfahren
sehr fraglich erscheinen lässt.
Die Mitarbeiterseite fordert als Konsequenz aus dem §118 BetrVG
(Tendenzschutz) eine adäquate Mitbestimmung als logische Konsequenz
der Dienstgemeinschaft. Die Mitarbeiterseite fühlt sich dem Tendenzzweck
der kirchlichen Einrichtung genauso wie die Dienstgeberseite verpflichtet.
Der Gegensatz von Kapital und Arbeit ist nicht gegeben, Betriebsfremde
verhandeln nicht mit. Es ist nicht vorstellbar, dass eine notwendige
Flexibilisierung AVR des Deut-schen Caritasverbandes mit der Verlagerung
von wirtschaftlichen Entscheidungen auf die Einrichtungsebene stattfinden
kann, solange die MAVO nicht die konsequente Fortführung des Interessenausgleichs
der "Tarifpartner" in den Gremien des Dritten Weges ermöglicht.
Vor ungefähr zwei Jahren hatten wir Sie, Hochwürdigster Herr
Kardinal, um einen Gesprächstermin in Angelegenheiten der MAVO
gebeten. Pater Langendörfer hatte uns damals in Ihrem Auftrag mitgeteilt,
Sie befürworteten grundsätzlich ein Gespräch. In der
damaligen Situation (§ 218) baten Sie jedoch, zunächst mit
Pater Langendörfer zu sprechen.
Erlauben Sie nun unsere Bitte, den verschobenen Gesprächstermin
in dieser für uns sehr bedeutsamen Frage nachzuholen. Die Mitgestaltung
der MAVO ist vornehmste Aufgabe der BAG-MAV.
Angesichts des engen Zeitplans der Novellierung ist mit gleichem Datum
ein Schreiben wesengleichen Inhalts an die HH Generalvikare der Diözesen
als Mitglieder des Verwaltungsrates ergangen.
Wir freuen uns auf eine hoffentlich baldige Begegnung mit Ihnen
und wünschen Ihnen eine gesegnete Adventszeit!
Mit freundlichen Grüßen
Günter Däggelmann
(Vorsitzender)