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Zukunftsperspektiven des Caritasverbandes

Anforderungen aus der Sicht caritativer Dienstleistungsunternehmen

Vortrag der Vertreter großer Träger bei deren Gespräch mit dem GV des DCV am 27. Januar 2000 (siehe auch Tagung Eichstätt)


 

Unsere Zielsetzungen
  • Langfristige Sicherung der caritativen Aufgaben auf christlicher Grundlage in jeweils zeitgemäßer Weise

  • Sicherstellung angemessener Rahmenbedingungen für die Arbeit der marktfähigen und nicht-marktfähigen Dienstleistungen

  • Zukunftsfähiger Verband, der den Bedürfnissen der Caritasdienste entspricht; andernfalls erforderlicher Aufbau von Alternativstrukuren

Wege zur Zielerreichung

  • Aufgabenstellung des Verbandes um die Aufgaben eines Unternehmensverbandes erweitern. Anpassung der Satzung des Caritasverbandes

  • Veränderung der Organisationstrukturen des Verbandes und seiner Gliederungen

  • Neudefinition der Inhalte der Verbandspolitik in Abstimmung mit den Mitgliedseinrichtungen

  • Rasche Konzeption und Umsetzung durch die Verantwortlichen des Verbandes (Einrichtungen können nur Lösungsansätze aufzeigen)

Problembereiche:

Teil A) Zukunft der Verbandsarbeit

Teil B) Zukunft der AVR


Teil A) Zukunft der Verbandsarbeit

 

lst-Situation und Handlungsdruck

1.1. Generelle Entwicklungen

  • Sozialeinrichtungen entwickeln sich immer mehr zu Dienstleistungsunternehmen

  • zunehmende Bedeutung marktfähiger sozialer Dienstleistungen

  • zunehmend gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen frei-gemeinnützigen und privatgewerblichen Anbietern

  • Besondere (Vorrang-)stellung der freien Wohlfahrtspflege ist bereits heute weitgehend wirkungslos und wird zunehmend in Frage gestellt, d.h., der engen Bindung an die öffentliche Hand steht keine ausreichende Gegenleistung gegenüber

  • Gemeinnützigkeit beschränkt sich künftig voraussichtlich auf den Bereich der nicht-marktfähigen Dienstleistungen, deren Erbringung andere Vorgehensweisen erfordert (kein Wettbewerb zu Privat-Gewerblichen, keine Anbieter-Kunde-Beziehung, stärkere Zuschuß-/Spendenfinanzierung, andere Anforderungen an Arbeitsbedingungen, Tarif, Umgang mit Gewinn etc.)

  • Ein Großteil der Caritasaufgaben sind marktfähige Aufgaben. Für diese ist die Beibehaltung der Gemeinnützigkeit fraglich und sollte auch im Interesse der nichtmarktfähigen Aufgabenträger zur Erhaltung deren Gemeinnützigkeit hinterfragt werden. Die Gemengelage zwischen marktfähigen und nicht-marktfähigen Bereichen aufrecht zu erhalten, ist für die Träger gefährlich. Eine Überprüfung der Vorteile der Gemeinnützigkeit gegenüber einem gewerblichen Status marktfähiger Aufgabenträger müßte vor allem auf dem Hintergrund erheblicher wettbewerbsbeschränkender öffentlicher Reglementierungen rasch erfolgen.

 

1.2. Verbandsstruktur

  • Gleichzeitige Interessenvertretung für Dienstleistungsunternehmen und Übernahme der Anwaltsfunktion für die Betreuten durch denselben Verband beschränkt die Glaubwürdigkeit und die Durchsetzungskraft der Verbandspolitik

  • Zersplitterung der Verbandstätigkeit zwischen den Wohlfahrtsverbänden und innerhalb dieser nach Zielgruppen (Alte, Kranke, Junge, Behinderte etc.) und nach Diözesen schwächt die Durchsetzungsfähigkeit und vervielfacht den Aufwand (lneffizienz, Mittel könnten in der konkreten Basisarbeit ggf. besser eingesetzt werden)

  • Verband macht zuwenig aktive, offensive Politik und reagiert stattdessen hauptsächlich defensiv auf gesetzliche Veränderungen. Ein Großteil des Ressourceneinsatzes wird in der Rechtsumsetzung gebunden (Vereinbarung von Rahmenverträgen, Beteiligung an Pflegesatzkommissionen, Koordinierungsausschüssen etc.).

 

1.3. Verbandspolitik
  • Unzureichende demokratische Rückkoppelung von Verbandsentscheidungen

  • Fehlende bzw. unzureichende Vertretung der Einrichtungsträger in den Verbandsgremien

  • Fehlende bzw. unzureichende Abstimmung von Verbandsaussagen mit der Basis

  • Verbandspolitik richtet sich auf Besitzstandswahrung und Erhalt der bisherigen Sozialstaatsstrukturen, während die Mitgliedseinrichtungen bereits innovativ Veränderungschancen nutzen (Beispiele: Festhalten an AVR in der bisherigen Form, am Bedarfsplanungs- und Zuschußsystem, am Sachleistungsprinzip in der Sozialversicherung, an der Vorstellung "Gleichheit = soziale Gerechtigkeit" usw.)

 

2. Drohende Folgen
  • Gleichartige Verhaltensweisen im marktfähigen wie im nicht-marktfähigen Bereich führen in beiden Bereichen zu unzulänglichen, mittelmäßigen Ergebnissen

  • Wettbewerbsfähigkeit und damit Marktanteil ggü. privat-gewerblichen Anbietern im marktfähigen Bereich sinkt

  • Wahrnehmung der Aufgaben im nicht-gewerbsfähigen Bereich wird gefährdet, da bei zurückgehenden staatlichen Leistungen stärkere Eigenfinanzierung erforderlich ist und diese neben Spenden aus Gewinnen der marktlichen Dienstleistung zu erwirtschaften ist

  • Widersprüche in den politischen Aussagen und Forderungen des Verbandes für den marktfähigen und den nicht-marktfähigen Sektor und zwischen Basis und Verbandsspitze

  • Positive Mitgestaltung der politischen Rahmenbedingungen in beiden Sektoren wird durch die dargestellte mangelnde Glaubwürdigkeit und Durchsetzungsunfähigkeit gefährdet

    Aufgrund der Ineffizienz und der unzureichenden unternehmenspolitischen Interessenvertretung suchen caritative Dienstleistungsunternehmen notgedrungen zunehmend den Anschluß an andere Unternehmensverbünde (z.B. "G 6" in Baden-Württemberg, VdDD, bundesweite Altenhilfeverbände etc.)

  • Bestand und Bedeutung des Caritasverbandes und das Zusammenwirken zwischen marktfähigem und nicht-marktfähigem Bereich ist dadurch gefährdet

 

3. Handlungsalternativen

Der Verband hat die Wahl zwischen folgenden Alternativen:

  1. Verteidigung des status quo solange als möglich und Reaktion auf von außen vorgegebene Veränderungen

  2. Erkennen der absehbaren Zukunftsentwicklungen (Chancen und Risiken) und aktive Mitgestaltung dieser Entwicklungen

    Wir plädieren für die Alternative 2, da die wettbewerbsrechtlichen Entwicklungen nicht aufzuhalten sein werden und die jetzige Situation für unsere Einrichtungen immer gefährlicher wird, da sie zunehmend zum Spielball unterschiedlicher Kräfte und Stellen (Marktwettbewerb einerseits, bürokratische Systeme andererseits) werden. Wir brauchen daher einen geordneten und mitgestalteten Übergang anstelle der hilflosen Reaktion auf von außen erzwungene Veränderungen.

 

4. Anforderungen an die künftige Verbandsarbeit

4.1. Generelle Erfordernisse

  • Klare Unterscheidung zwischen dem marktfähigen, unternehmerischen Dienstleistungsbereich und dem nicht-marktfähigen, gemeinwohlorientierten Bereich (vgl. Ottnad, Wahl, Miegel: Bedeutung der Freien Wohlfahrtspflege für Gesellschaft, Beschäftigung und Wirtschaft, Gutachten im Auftrag der BAGFW, August 1999, S.123)

  • Entwicklung geeigneter neuer Modelle, die beide Sektoren der sozialen Arbeit für sich entfalten lassen und gleichzeitig zu einer sinnvollen Ergänzung und Vernetzung führen

 

4.2. Verbandsstruktur
  • Verbandsorganisatorische Trennung der Wahrnehmung der Anwaltsfunktion und der allgemeinen Sozialpolitik ("Sozialverband", "Caritas I") von der Interessensvertretung für die sozialen Dienstleistungsunternehmen ("Unternehmensverband, "Caritas II") (vgl. Fink: Rollenklärung im Deutschen Caritasverband aus der Sicht der Fachverbände der Caritas-Behindertenhilfe und -Psychiatrie, Augsburg, 29.09.99)

  • Stärkere Zusammenfassung und Bündelung der Interessenvertretung im Unternehmensverband unabhängig von den betreuten Personengruppen und stärkere wohlfahrtsverbandsübergreifende Zusammenarbeit.
    Folgende Aufgaben sollte ein Unternehmensverband insbesondere wahrnehmen:
    • Interessenvertretung seiner Mitglieder
    • Förderung der wirtschaftlichen Tätigkeit seiner Mitglieder
    • Balance zwischen freiem Wettbewerb und gemeinschaftlich koordinierter Kooperation der Unternehmen fördern
    • Vorbereitung strategischer Entscheidungen in der Sozial-, Wirtschafis- und Gesellschaftspolitik und die Beratung seiner Mitglieder in diesen Fragen
    • Unterstützung in arbeitsrechtlichen Fragen

  • Ressourcenumschichtung weg von der administrativen "Gesetzesumsetzung" hin zur aktiven Politikbeeinflussung; Aufbau einer schlagkräftigen politischen "Task force" an den politischen Schaltzentralen in Land, Bund, Europa

  • Herausbildung von Strukturen zur Konsensbildung zwischen "Caritas I" und "Caritas II" (insbesondere Gremien des Spitzenverbandes); Schaffung eines verbindenden Geistes und gemeinsamer sozialordnungspolitischer Grundhaltung

  • Lösungsvorschlag: "Getrennt marschieren, vereint schlagen"

 

4.3. Verbandspolitik
  • Schnellere und direkte Diskussion und Abstimmung politischer Positionen mit der Basis ("Vollversammlungen", "Parteitage", Rundbriefe mit Rückantwortmöglichkeit, Internet-Diskussionsforen)

  • Innovation statt Besitzstandswahrung
    • Chancen der zunehmenden Selbstverantwortung der Bürger nutzen anstatt über abnehmenden (sozialstaatlich erzwungene) Solidarität zu klagen
    • Entwicklung neuer Finanzierungssysteme (Subjektförderung, Geldleistungsprinzip etc.)
    • Neue Modelle für adäquate Arbeitsbedingungen (vgl. Teil B)
    • - etc.

 

5. Aufgabenstellungen zum weiteren Vorgehen
  • Rasche Erarbeitung eines Reformkonzepts durch den Verband in Abstimmung mit den betroffenen Einrichtungsträgern an der Basis (bis Jahresende)

  • Andernfalls:
    - Gründung neuer Unternehmenszusammenschlüsse


Teil B) Zukunft der AVR

1. Ist-Situation und Handlungsdruck

Die AVR in der bisherigen Form sind nicht ausreichend flexibel, zu aufwendig zu handhaben, zu intransparent, um sich den bestehenden marktlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Staatliche Reglementierungen (sowohl auf der Ertrags- wie auf der Kostenseite) bei gleichzeitig erhöhtem Wettbewerbsdruck (private Anbieter, Marktöffnung) können nicht in Einklang mit den starren AVR gebracht werden. Der Fortbestand der caritativen/diakonischen Einrichtungen ist gefährdet, weil ein wirtschaftliches und flexibles Arbeiten, das zu unseren Grundpflichten gehört, nicht mehr möglich ist. Durch das Wegbrechen der staatlichen Schutzzäune für die Freie Wohlfahrtspflege stehen sehr viele Arbeitsplätze genauso auf dem Spiel, wie der besondere/spezifische Auftrag von Caritas und Diakonie.

Die Arbeitsvertragsrichtlinien und die Regeln zur Zusammenarbeit zwischen Dienstgebern und Mitarbeitern müssen erneuert werden, weil

a. kaum mehr Einigungsfähigkeit herrscht

b. die bestehenden Regelungen sozial ungerecht sind

c. keine Leistungsgerechtigkeit gegeben ist

d. die bestehenden Regelungen zu kompliziert und von den Mitarbeitern nicht mehr zu verstehen sind.

Alles in allem sind die bestehenden Regelungen in ihrer Wirkung teilweise unsozial und ungerecht und damit nicht konform mit dem Geist der Kirchlichen Grundordnung.

 

2. Kriterien für die neuen AVR und deren Erarbeitung:

2.1. Wahrnehmung der Chancen des Dritten Weges.

Neue zeitgemäße Arbeitsvertragsregelungen müssen im Verbund mit kompetenten und engagierten Mitarbeitern erarbeitet werden. Der bisherige Dritte Weg, der sich im wesentlichen auf das Abschreiben des BAT beschränkt, nimmt die Chancen, die der Kirche durch die Möglichkeit ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes zu ordnen und zu verwalten offenstehen, nicht ausreichend wahr. Durch Innovationen und Modellvorhaben auf diesem Sektor könnte gerade von kirchlicher Seite zur positiven Veränderung der starren, für die Menschen sehr nachteiligen Beschäftigungsbeziehungen beigetragen werden.

 

2.2. Faktor Zeit

Beachtung des Faktors Zeit (t). Je länger die Erarbeitung dauert, je geringer werden die Chancen für die Einrichtungen, sich im zunehmenden Wettbewerb zu behaupten. Die Einrichtungsträger sollten um ihrer Existenz Willen nicht gezwungen werden, eigene Wege außerhalb des Dritten Weges zu gehen.

 

2.3 Leitwährung

Die neuen Richtlinien sollen die bisherigen Schwächen der AVR und der übrigen Tarifsysteme aufheben, sie sollen eine Art "Leitwährung" sein, die erlaubt, über Betriebsvereinbarungen auf die besondere Situation einer Region und/oder einer Einrichtung Rücksicht zu nehmen.

 

2.4. Anforderungen im einzelnen

  • Die AVR müssen gerechter sein (Lohngerechtigkeit ist ein Anspruch der kirchlichen Grundordnung):
    • Die Vergütung muß der aktuellen Leistung (Leistungsbereitschaft und Arbeitsergebnis) entsprechen (Anpassung nach oben und nach unten; Schaffung von Motivationsanreizen)

    • Keine Automatismen (Altersstufenerhöhung, Bewährungszeiten)

    • Trennung zwischen Vergütung und Sozialpolitik (Abschaffung des Ortszuschlages)

    • Jeder Mitarbeiter soll seine Vergütung ohne besondere Erklärungen nachvollziehen können

    • Weg vom umfassenden staatlichen Versorgungsdenken; Förderung der Eigenverantwortlichkeit (z.B. Altersvorsorge)

    • Das Vergütungssystem muß 'stimmig' sein (innerhalb der AVR sowie gegenüber dem Markt)

    • Das Gesamtvolumen der Vergütungsbestandteile soll nicht primär gesenkt, sondern nach anderen, leistungsorientierten Kriterien verteilt werden

    • Abstimmung und Abgleich mit diakonischen Einrichtungen verbunden mit gemeinsamen Qualitätskriterien


  • Die AVR müssen sozialer (menschlicher) sein:
    • Keine entgeltbedingten Ausschlüsse älterer, kinderreicher oder leistungsgeminderter Personen

    • Die Bereitschaft leistungsstärkerer Mitarbeiter, leistungsschwächere zu integrieren darf nicht überstrapaziert werden

    • Freie Entscheidung über die Art und Weise der zusätzlichen Altersversorgung

    • Schaffung vertretbarer Übergangsregelungen

    • Die AVR müssen wirtschaftliches Arbeiten ermöglichen

    • Flexibilität zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit (z.B. in der Arbeitszeitgestaltung, Öffnungsklauseln für wirtschaftliche Notlagen)

    • Stärkung und Ausbau der betrieblichen Autonomie (Öffnungsklauseln; Rahmenregelungen)


  • Die AVR werden damit christlicher weil
    • die Voraussetzungen für die langfristige Sicherung der caritativen Aufgaben auf christlicher Grundlage und in jeweils zeitgemäßer Weise wesentlich verbessert werden

    • Mitarbeiter mit mehreren Kindern nicht systembedingt ausgegrenzt werden

    • die Mitarbeiter in die Verantwortung und damit ernst genommen werden

    • insbesondere die benachteiligten Menschen wieder eine Beschäftigungschance erhalten.

     

3. Weitergehende Überlegung: Humaneres Arbeiten

Um langfristig bestehen zu können müssen wir den Anforderungen der Menschen an einen attraktiven Arbeitsplatz entsprechen.

Wir brauchen insbesondere

  • Neue Formen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn die Menschen des 21. Jahrhunderts werden das "Entweder-Oder" zwischen Familie und Beruf nach Kräften vermeiden

  • Neue Formen für gleitende Übergänge zwischen den einzelnen Lebensabschnitten wie z.B. Vollzeitarbeit, Bildungsphasen, Sabbaticals, Ruhestand, ehrenamtlicher Tätigkeit etc.