Der Streit um die Zusatzversorgung
Es war einmal...
Die Vollversammlung des Verbandes der Dišzesen Deutschlands (VDD)
hat am 30. August 1976 beschlossen, die kirchliche Zusatzversorgungskasse
(KZVK) zu errichten.
Deren Aufgabe besteht nach ¤ 2 des Beschlusses darin, den Arbeitnehmern
des kirchlichen und des kirchlich-caritativen Dienstes eine zusŠtzliche
Altersversorgung nach den fŸr Angestellte im šffentlichen Dienst geltenden
GrundsŠtzen durch Versicherung zu gewŠhren. Dieser Aufgabe ist die
Kasse nachgekommen, indem sie das damals im šffentlichen Dienst praktizierte
umlagefinanzierte Gesamtversorgungssystem in ihrer Satzung verankert
und entsprechende Renten gezahlt hat.
Parallel dazu hat die Arbeitsrechtliche Kommission - damals noch
"StŠndige arbeitsrechtliche Kommission" genannt - eine Versorgungsordnung
beschlossen, die in ihrem Leistungsteil das Gesamtversorgungssystem
inhaltsgleich abgebildet hat.
Bis zum Jahr 1984 wurde jede VerŠnderung, die im šffentlichen Dienst
auf Grund von VersorgungstarifvertrŠgen eintrat, von der AK durch
entsprechende formale BeschlŸsse Ÿbernommen. Seit September 1984 richtet
sich der Versorgungsanspruch des Mitarbeiters ausschlie§lich nach
der Satzung der Zusatzversorgungskasse und ihrer AusfŸhrungsbestimmungen.
Diese Satzung wurde bis zum Jahr 2001 regelmŠ§ig an das jeweilige
Versorgungsrecht des šffentlichen Dienstes angepasst.
Im April 2002 wurde die Satzung von der Kasse - dem Versorgungstarifvertrag
2001 entsprechend - unter Aufgabe des Gesamtversorgungssystems auf
ein kapitalgestŸtztes Betriebsrentenmodell (Punktesystem) umgestellt
und von der Vollver-sammlung des VDD am 24. Juni 2002 beschlossen.
Damit ist die KZVK ein Versicherer nach Art einer Pensionskasse geworden.
Punktesystem ohne Zustimmung der AK?
FŸr alle Beteiligten stellt sich damit die Frage, ob mit dem letztgenannten
Beschluss des VDD das Punktemodell bei der Caritas eingefŸhrt ist
oder ob es dazu noch eines eigenen Beschlusses der AK bedarf.
Zur Erinnerung: Die AK hat in der Juni-Sitzung 2002 der Beschlussvorlage
zur EinfŸhrung des Punktesystems mehrheitlich die Zustimmung verweigert.
Dabei hat die Mitarbeiterseite geschlossen deutlich gemacht, dass
sie zwar die Umstellung auf das neue Versorgungssystem grundsŠtzlich
akzeptiere, dass aber die unangemessene Benachteiligung der unter
55-jŠhrigen durch die Umrechnung der Anwartschaften nach dem Betriebsrentengesetz
nicht akzeptiert werden kšnne.
Verweisung als Generalvollmacht?
Ein erneuter AK-Beschluss wŸrde sich erŸbrigen, wenn bereits die
im Jahr 1984 getroffene Entscheidung, die VersorgungsansprŸche richteten
sich ausschlie§lich nach der Kassensatzung, den Wechsel zu einem všllig
anderen Versorgungssystem, dem Punktesystem, mit einschlšsse. Dies
wird in einem Gutachten fŸr den Verband der Dišzesen Deutschlands
zwar behauptet, von der Mitarbeiterseite jedoch bestritten. Folgende
GrŸnde fŸhren zu dieser EinschŠtzung.
Fehlende Eindeutigkeit
Die Formulierung der Verweisung ist nicht eindeutig. Nach juristischem
Sprachgebrauch hŠtte sich die AK im Jahr 1984 vorbehaltlos der Satzung
unterworfen, wenn sie die VersorgungsansprŸche dem jeweiligen Satzungsrecht
unterworfen hŠtte (sog. "dynamische Verweisung"). Der Kommission war
und ist die Bedeutung einer "Jeweiligkeitsklausel" bekannt - siehe
z. B. ¤ 2 des Musterdienstvertrages. Gleichwohl hat sie die Klausel
nicht zur Verdeutlichung des ihr von vielen unterstellten Willens,
sich vorbehaltlos der Satzung zu unterwerfen, in den Beschlusstext
aufgenommen. Das hŠtte nahe gelegen, weil damals wie heute neben dem
Gesamtversorgungssystem der KZVK mit der "Selbsthilfe" eine Pensionskasse
bestand, von der 1976 die meisten VersicherungsverhŠltnisse auf die
KZVK Ÿbergeleitet worden waren.
(Exkurs: HŠtte im Jahr 1984 jemand die Kommissionsmitglieder gefragt,
ob mit dem damaligen Verweisungsbeschluss auch eine Versorgung nach
Pensionskassenrecht gemeint sein kšnne, er hŠtte gewiss KopfschŸtteln
hervorgerufen. Denn die Kommissionsmitglieder hŠtten sich zu Recht
gefragt, aus welchem Grund sie das Recht der einen von zwei Pensionskassen
regeln dŸrften, wŠhrend sie auf die Regelungskompetenz der anderen
Pensionskasse verzichten sollten).
Das Fehlen einer Jeweiligkeitsklausel ist somit Indiz dafŸr, dass
nur auf das Recht des Gesamtversorgungssystems verwiesen werden sollte.
Keine Jeweiligkeits-Klausel
1984 wurde von der Kommission die fehlende Einflussmšglichkeit auf
das Leistungsrecht der Gesamtversorgung beklagt, weil sie einzelne
Bestimmungen fŸr bedenklich hielt und sie gern modifiziert hŠtte,
sich aber wegen der erforderlichen Einheitlichkeit des Zusatzversorgungsrechts
daran gehindert sah. Die Bedenken wurden seinerzeit der Deutschen
Bischofskonferenz und dem VDD per Beschluss (2 Gegenstimmen und eine
Enthaltung) mitgeteilt und eine Kommission eingerichtet, die Handlungsmšglichkeiten
ausloten sollte (siehe Niederschrift der 82. Sitzung vom 25. 9. 1984).
Die AK gab damit deutlich zu erkennen, dass sie mit der Entwicklung
dessen, was sich unter dem Schlagwort "Abbau der †berversorgung" im
šffentlichen Dienst tat, hšchst unzufrieden war ("soziale Schweinerei").
Angesichts dessen spricht einiges dafŸr, dass der gleichzeitig gefasste
Beschluss, sich der Kassensatzung zu unterwerfen, sich nur und ausschlie§lich
auf das Gesamtversorgungssystem bezogen hat. Der Beschluss darf folglich
keinesfalls so verstanden werden, als sollten damit auch alle grundlegenden
SystemverŠnderungen abgesegnet werden, die sich irgendwann im šffentlichen
Dienst ergeben wŸrden.
Genau dieser von uns bestrittene Inhalt wird jedoch dem seinerzeitigen
Verweisungsbeschluss beigemessen und damit begrŸndet, der Errichtungsbeschluss
der Kasse im Jahr 1976 habe fŸr den caritativen Bereich eine Zusatzversorgung
wie im šffentlichen Dienst geschaffen. Infolge dessen habe die Kasse
das bisherige Versorgungssystem ebenfalls durch das Punktemodell ersetzen
kšnnen. Hier sei der Hinweis gestattet, dass der bischšfliche Auftrag
an die Kasse, die Zusatzversorgung nach den fŸr Angestellte des šffentlichen
Dienstes geltenden GrundsŠtzen zu ordnen, sehr wohl so verstanden
werden kann, es sei nur das dort seit 1967 geltende Versorgungssystem
der Gesamtversorgung gemeint, nicht etwa das jeweils praktizierte.
Zusatzversorgung = Gesamtversorgung
So jedenfalls hat die AK den seinerzeitigen Be-schluss der Vollversammlung
verstanden und ihn ausschlie§lich auf das Gesamtversorgungssystem
bezogen: In der 53. Sitzung am 21.1.1975 sind daher drei ma§gebenden
Ziele benannt worden, die Altersversorgung neu zu ordnen: - die fehlende
Dynamisierung der bisherigen Renten aus der "Altershilfe" und der
"Selbsthilfe", - die fehlende Orientierung dieser Renten an den bisherigen
BezŸgen des Mitarbeiters (endgehaltsbezogene Berechnung) und - die
fehlende †berleitungsfŠhigkeit. Die Niederschrift der 53. Sitzung
vom 21.1.1975 fŸhrt weiter aus, durch die †bernahme des Gesamtversorgungssystems
seien die aufgezeigten MŠngel auf Dauer und endgŸltig beseitigt. Die
Mitglieder der AK hatten somit 1976 und auch spŠter nicht die jeweiligen
Versorgungsregelungen des šffentlichen Dienstes im Blick, sondern
sie wollten seiner inhaltlichen Vorteile wegen das damalige System
der Gesamtversorgung bei der Caritas einfŸhren. Die Absicht, an eben
diesem System festzuhalten, bestand wegen der †berleitfŠhigkeit auch
1984 und darŸber hinaus.
Systempflege - Systemwechsel?
Angesichts dieser Sachlage muss man annehmen, dass die Verweisung
auf die Kassensatzung nur die notwendigen Korrekturen innerhalb des
Gesamtversorgungssystems ermšglichen sollte. So erlŠutert der GeschŠftsfŸhrer
der Arbeitsrechtlichen Kommission in der 82. Tagung am 25. September
1984 in Mainz zur entsprechenden Vorlage laut Niederschrift: "Aus
der Diskussion sei deutlich geworden, dass materiell durch die Versorgungsordnung
der AVR die AnsprŸche der Mitarbeiter nicht geregelt seien. Die Versorgungsordnung
in den AVR habe immer nur das wiederholen kšnnen, was aufgrund der
Satzung der Kirchlichen Zusatzversorgungskasse geltendes Recht sei.
Deshalb sei es stets erforderlich gewesen, bei SatzungsŠnderungen
die Versorgungsordnung anzupassen. Bei diesen BeschlŸssen habe man
keinen Spielraum gehabt. Um nun in Zukunft diese formalen BeschlŸsse
zu vermeiden, verfolgt die Vorlage das Ziel, bezŸglich der VersorgungsansprŸche
der Mitarbeiter auf die Satzung der Kirchlichen Zusatzversor-gungskasse
zu verweisen. In gleicher Weise seien schon seit einigen Jahren die
VersorgungsansprŸche der Mitarbeiter geregelt, die nicht bei der Zusatzversorgungskasse
versichert seien, sondern bei einer anderen Zusatzversorgungseinrichtung."
(Unterstreichungen vom Verf.) Daraus geht eindeutig hervor, dass die
seinerzeitige Verweisung lediglich die fortlaufende Systempflege im
Auge hatte, jedoch keinesfalls einen Systemwechsel antizipierte.
Eindeutige Zuordnung
Diese Aussage wird auch dadurch gestŸtzt, dass die Verweisungsvorschrift
in Anlage 8 AVR die †berschrift Gesamtversorgung trŠgt. Auch die im
nachfolgenden Text der Versorgungsordnung A mehrfach verwendeten Begriffe
"Umlage" und "†berleitung" weisen auf das damals geltende System hin,
wŠhrend in Versorgungsordnung B von einer Finanzierung durch Entrichtung
von VersicherungsbeitrŠgen die Rede ist. Die AK hat damit deutlich
gemacht, dass sie sehr wohl zwischen den beiden grundlegend verschiedenen
Systemen unterschieden hat und keineswegs nur darauf fixiert war,
den Gleichschritt mit dem šffentlichen Dienst zu vollziehen.
Keine Versorgungstarifautomatik
Die Verweisung auf die Kassensatzung bedeutete - wegen der unter
den Zusatzversorgungskassen vereinbarten Regularien -, sich dem Ergebnis
von TarifvertrŠgen zu unterwerfen. Da die Kirche Ta-rifvertrŠge wegen
der Art ihres Zustandekom-mens ablehnt, muss davon ausgegangen werden,
dass sich ihre Gremien - sowohl die AK wie die Vollversammlung des
VDD - TarifvertrŠgen nicht schrankenlos unterwerfen, sondern nur in
dem Umfang, der erforderlich ist, das konkret verfolgte Ziel zu erreichen.
Dieses Ziel hie§ 1976 und 1984 nicht Gleichschaltung mit dem šffentlichen
Dienst auf Dauer, sondern †bernahme und BestŠtigung des damals als
vorteilhaft eingeschŠtzten Gesamtversorgungssystems. HŠtte sich die
AK 1984 verpflichtet, die jeweiligen VersorgungstarifvertrŠge des
…ffentlichen Dienstes auf dem Umweg Ÿber die Satzung der KZVK zu Ÿbernehmen,
hŠtte sie damit den kirchlichen Dienst auf Dauer einem Recht unterworfen,
das ausschlie§lich an sŠkularen Vorstellungen orientiert ist, eine
damals wie heute (noch) undenkbare Vorstellung. Sie wŸrde einen Verzicht
bedeuten, die Besonderheiten des kirchlichen Dienstes zur Geltung
zu bringen. Daher kann die †bernahme kirchenfremder Regelungen allenfalls
als Notlšsung auf Zeit verstanden werden (Richardi: Arbeitsrecht in
der Kirche, 3. Auflage MŸnchen 2000, Seite 142 und Seite 178). Diese
Zeit ist mit der Umstellung auf das Punktemodell abgelaufen.
Arbeitsvertragswidriger Zustand
Die Dienstgeber der Caritas sind durch ihre Zuordnung zur Kirche
verpflichtet, den ArbeitsverhŠltnissen mit ihren BeschŠftigten die
Arbeitsvertragsrichtlinien zugrunde zu legen. Das gilt auch fŸr die
Regelungen der betrieblichen Altersversorgung nach Anlage 8. Derzeit
lassen die Dienstgeber zu, dass die KZVK nach Vorschriften verfŠhrt,
die durch die AVR nicht gedeckt sind. Die Mitglieder der Mitarbeiterseite
in der AK sind bereit, diesen nach ihrer Auffassung arbeitsvertragswidrigen
Zustand zu beenden und angemessene Regelungen zu beschlie§en. Entsprechende
VorschlŠge sind jederzeit willkommen.
Schlussfolgerung
Da das Gesamtversorgungssystem des šffentlichen Dienstes abgeschafft
und durch ein kapitalgestŸtztes Betriebsrentensystem ersetzt wurde,
muss die AK diesen Schritt noch billigen. Denn eine grundlegende €nderung
der Altersversorgung gehšrt prinzipiell zu ihren Aufgaben. Diese Grundsatzentscheidung
kann ihr u.E. nicht durch den Hinweis auf eine angeblich umfassende
Verweisklausel streitig gemacht werden. Sie hat mit dieser Verweisung
ihre Kompetenz nur insoweit auf die seinerzeitige Kassensatzung Ÿbertragen,
wie es zur Herstellung der KompatibilitŠt und zur ŸberleitfŠhigen
Handhabung des seinerzeit geltenden Gesamtversorgungssystems erforderlich
war. Damit auch gleich einen kompletten Systemwechsel von der Gesamtversorgung
zu einer kapitalgestŸtzten Versicherungslšsung als zusŠtzlicher Altersversorgung
abgedeckt zu haben, Ÿberstrapaziert Willen und Absicht der damals
handelnden Kommissionsmitglieder.
Die Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission des Deutschen
Caritasverbandes vertritt daher die †berzeugung, dass es zur Ersetzung
des Gesamtversorgungssystems durch das sog. Punktesystem eines gŸltigen
Beschlusses der Kommission bedarf. Das Umfunktionieren einer Verweisklausel
in eine Je-weiligkeitsklausel reicht als Rechtsgrundlage fŸr eine
Umstellung nicht aus.
WvF/wbf